Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
Stein zäh zu Boden und verfing sich zu einem netzartigen Muster kreuz und quer.
Eryennis taumelte, als hätte der Zauber sie bis jetzt gehalten, fiel gegen den heißen Fels und schrie gellend. Kanura stürzte auf sie zu, doch sie streckte ihm ihr Horn entgegen wie einen Degen. In ihrer anderen Hand glitzerte es blau.
Er hielt inne.
» Fass mich nicht an, Fürstensohn! «
Wie glühendes Glas troff Lava von den Wänden, lief über eine schwarze Schulter, tropfte in rauchenden Schlieren von einem einstmals perfekten Körper.
» Eryennis! « Nun schrie auch Kanura. Wieder streckte er seine Hände nach ihr aus, um sie vom schmelzenden Fels fortzuziehen. Doch die unglaubliche Hitze ließ ihn zurückzucken.
» Auf meine Weise habe ich dich sogar einmal geliebt « , sagte das schwarze Wesen, das immer mehr mit der glühenden Wand verwuchs, als wäre ihr dunkler Aschekörper längst Bestandteil des Basaltberges. » Sag mir, dass du mich liebst, mein Freund, mein Hengst, mein Prinz. Bedingungslos und ewig und mehr als jede andere. «
Wie erstarrt stand Kanura vor ihr. Es wäre gnädig, jetzt zu lügen. Warum nicht? Einfach lügen über eine Liebe. Bedingungslos und ewig und mehr als jede andere. Er tat es nicht.
» Ich habe dich geliebt als die Freundin, die du mir warst. Und ich trauere um die Feindin, die du mir geworden bist, und um meine Dummheit, die dich dazu verleitet hat. Ich wünschte, ich hätte dich mehr und besser geliebt, wenn diese Liebe uns den Frieden hätte erhalten können. «
Ein seltsames Lächeln verzerrte dunkle Züge.
» Erwachsen geworden, mein Prinz? « Noch immer streckte sie ihm ihr Horn entgegen, doch die Geste war nicht bedrohlich.
» Nimm es « , sagte sie. » Es ist dein. Mein Herz hätte ich dir schenken sollen, stattdessen ist es nun mein Horn. Nimm es! Nimm es mit dem, was mein ist. «
Beinahe schüchtern legte Kanura seine Hand an das schwarze Horn. Es war heiß. Er umfasste es vorsichtig. Es vibrierte wie Gewitter im Äther. Blitze liefen daran entlang und schlugen in seinen Arm ein. Er ließ dennoch nicht los. Ein schmerzhaftes Kribbeln kroch wie Säure seinen Arm hoch, in seine Brust, in seinen Kopf, in seine Seele.
» SIE heißt Malicorn « , sagte Eryennis. » Denn nur wenn du weißt, wie SIE heißt, die Fessel zerreißt. «
Dann ließ sie ihr Ende des Horns los. Im gleichen Moment erstarrte der Stein und wurde dunkel. Wie eine Reliefstatue stak sie im Fels, halb in ihn versenkt, halb aus ihm hervorstehend. Sie hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht mehr. Ihre Züge waren in einem seltsamen Lächeln versteinert.
» Talunys! « , flüsterte Kanura. Er war in die Knie gesunken. Sein Herz raste. Fast hatte er das Gefühl, es wolle ihm sein Blut brodelnd durch die Haut brechen, doch nichts dergleichen geschah. Seine Sicht war voller Schatten. Bilder dessen, was er sah, überlagerten sich und ließen ihn im Ungewissen, was Wirklichkeit war und was Vision. Er zitterte. Oder zitterte der Berg?
Eine Hand griff nach ihm. Er schrak zusammen, doch es war nur Una. Sie rang um Worte, fand keine, die passten, die trösteten.
» Was …? « , fragte sie. Er zuckte nur mit den Schultern. Er konnte ihr nicht erklären, was hier vor sich gegangen war. Er wusste es selbst nicht.
Ganz langsam stand er auf. Er verbarg das Horn an sich. Nun streckte er doch die Hand nach dem heißen Fels aus, berührte eine steinerne Wange, streichelte zart daran hinunter.
» Warum? « , flüsterte er. » Warum war Macht so erstrebenswert, dass dir nichts von dem, was du hattest, genug war? «
Kapitel 93
Una lebte noch. Das war wichtig. Anderes nicht.
Eryennis war Una wenig sympathisch gewesen. Sie hatte Kanura verraten. Sie war nicht eben respektvoll Una gegenüber gewesen. Und außerdem hatte sie eine Beziehung mit Kanura gehabt, die so ganz anders war, als ein bisschen heißer Sex in einer Höhle, kurz bevor man dem Untergang entgegentrat. Eryennis und Kanura hatten eine gemeinsame Vergangenheit. Una und Kanura hatten nicht einmal eine gemeinsame Zukunft.
Unas Gefühle waren so durcheinander, dass sie sie einfach beiseiteschob. Entkommen war jetzt wichtig. Alles andere musste warten.
Sie hatte Kanura von der mit dem Berg verwachsenen Statue fortgezogen. Jetzt, da Eryennis Teil des Gebirges war, offenbarte sich ihre ungeheure Schönheit. Klar und glatt hoben sich ihre ebenmäßigen Gesichtszüge in schimmerndem Obsidian aus dem Fels, Haare wallten steinern an der Wand entlang. Ihr
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