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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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streckte die Spitze gegen Kanura aus, noch bevor der mit der Last in seinen Armen zurücktreten konnte. Sie berührte seine Schläfe und ein eisiger Schock fuhr ihm durch und durch. Bilder von Schlachtengetümmel und Kampf schossen ihm durch die Gedanken. Schwerter sah er und Blut, Waffen, die er nicht kannte, schließlich Explosionen, die pilzförmig in die Welt wuchsen und alles verbrannten, was ihnen im Weg war.
    » Was …? « , fragte er verstört. Doch da war niemand mehr, an den er seine Frage richten konnte. Er war allein. Über ihm war eine Linie im Fels wie eine Narbe. Zu seinen Füßen lag der Dolch, der ihn eben noch berührt hatte.
    Noch auf den Knien liegend sah Kanura sich noch einmal um. Er war – bis auf Una – tatsächlich allein. Fast schien es ihm, als habe er sich den Besuch der Göttin und ihres Helfers nur eingebildet. Doch sie waren da gewesen.
    Alles richtig machen. Wie nur? Und was würde der Preis sein?
    Er legte Una auf den Boden und betrachtete sie. Ihr Arm war dick angeschwollen. Ihr Atem ging stoßweise. Er holte sein Horn hervor. Die Dunkelheit des Körperteils, das auf so undenkbare Weise seines geworden war, stieß ihn immer noch ab. Hörner waren nie anders als elfenbeinweiß. Und vielleicht war es schon Fehler Nummer zwei, das Horn zu behalten, statt es von sich zu werfen.
    Er wusste es nicht. Doch er wusste, dass er nicht noch ein Horn verlieren wollte, einerlei, welche Farbe es hatte. Vorsichtig nahm er den Dolch der Göttin auf. Er war eiskalt. Einen Augenblick hielt er ihn über Una, die Spitze gegen ihren fieberheißen Körper gerichtet. Er versuchte, die Waffe zu begreifen. Was konnte sie, das sein Horn vielleicht nicht konnte? Sie bot Möglichkeiten – denn sie gehörte dem Krieg. Doch dieser Krieg hatte auf zynische Weise Hilfe angeboten – für eine Gegenleistung.
    Er zauderte, wusste nicht, ob er an die gute Absicht Machas glauben sollte. Doch Zaudern würde Una das Leben kosten. Er stach zu, schnitt in Unas vergifteten Arm, lenkte die scharfe Klinge aufwärts zur Schulter hin. Er konzentrierte sich und begann, tief und leise zu singen. In die Klänge hüllte er Una ein, wünschte, er wäre sich dessen, was er da tat, sicherer.
    Blut quoll aus Unas Arm und tropfte auf den Boden. Und etwas Gelbgrünes wie Gallenflüssigkeit. Kanura legte den Dolch beiseite und nahm sein Horn auf. Nun änderte er seinen Gesang. Seine Stimme wurde sanfter, einfühlsamer. Die Hornklinge vibrierte in seinen Händen. Er hatte Mühe, sie zu halten. Doch er ließ sie nicht fallen. Sein Horn. Es gab keinen Zweifel mehr. Und doch hatte er den Heilgesang, der ihm von den Lippen strömte, selbst nie gelernt. Das Wissen Eryennis’ war mit dem neuen Horn in sein Bewusstsein gedrungen. Was sonst mochte darin verborgen sein?
    Langsam schloss sich die Wunde. Er verstaute sein Horn und nahm Una in die Arme, legte ihren Kopf an seinen Hals. Er wusste nicht, ob das, was er versucht hatte, noch irgendeine Wirkung zeigen würde. Alles richtig zu machen war schwierig, wenn man nicht wusste, was richtig war.
    » Una! Wach auf. «
    Sie schauderte, begann wie wild zu zittern. Zuckungen durchliefen ihren Körper. Er hielt sie mit all der Kraft fest, die er anwenden konnte, ohne sie zu zerbrechen.
    » Una! Wach auf. «
    Sie keuchte, rang nach Atem. Er hielt sie umso fester und wiegte sie in seinen Armen. Ganz leise begann er wieder zu singen, wünschte, er hätte mehr gelernt, als er die Möglichkeit dazu hatte, wünschte, er wäre ein besseres Einhorn gewesen, fleißiger, bemühter, weiser. Vielleicht wäre nichts von all dem geschehen, wenn er selbst anders gewesen wäre. Doch dann hätte er Una nie kennengelernt. Und vielleicht wäre das gut für sie gewesen.
    » Una! Wach auf. «
    Ihr Zucken wich einem Flattern ihres ganzen Körpers. Nur mit Mühe konnte er sie festhalten. Doch er ließ sie nicht los, verbannte den Gedanken, dass SIE , die dies angerichtet hatte, jeden Augenblick wiederkommen konnte. SIE war nicht fort. Das hatte die Göttin gesagt. Er hatte SIE nicht besiegt. Er hatte sich in einem sinnlosen Kampf aufreiben lassen, anstatt SIE zu bannen. Wie hätte er SIE bannen können?
    Die Nennung IHRES Namens hatte SIE nicht gemocht. Das wäre es gewesen. Eine direkte Ansprache, oft genug wiederholt, ein direkter magischer Befehl. So wie er ihn jetzt gab:
    » Una! Wach auf. «
    Sie schlug die Augen auf. Er hielt sie immer noch fest, blickte ihr in die Augen, die ihn vielleicht nicht einmal erkannten.

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