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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Doch sie lebte. Irgendetwas Substanzielles musste er jetzt sagen; irgendwelche bedeutsamen Worte finden. Etwas aus den Gesängen, den Balladen, dem gesamten Wissen der Tyrrfholyn. Ihm fiel nichts ein.
    » Ich liebe dich! « , sagte er einfach.
    Sie sah zu ihm hoch und begann keuchend zu weinen. Er küsste ihre Stirn.
    » Tut es sehr weh? « , fragte er.
    Ihre Tränen liefen an seiner nackten Brust herunter.
    » Ich bin bei dir « , sagte er, als sie nicht antwortete. » Ich bin bei dir. Ich halte dich ganz fest. «
    » Alles tut weh « , flüsterte sie schließlich. » Ich dachte, ich würde sterben. « Sie vergrub ihr Gesicht unter seinem Kinn. Mit einer Hand streichelte er ihre schweißnassen roten Locken. Er konnte in der Berührung den Tod spüren, dem sie so knapp entronnen war.
    » Wir leben « , sagte er.
    » Wo ist SIE ? «
    » Fort. Zumindest vorübergehend. «
    » Und die Göttin? «
    » Macht Ferien in Talunys. Sie hat uns ein Messer dagelassen und die Anweisung, alles richtig zu machen , sonst … «
    » Wie macht man alles richtig? «
    » Ich habe keine Ahnung. «

Kapitel 99
    Esteron hatte sich wieder gewandelt und kroch nun leise durch das Unterholz, eingehüllt in eine Stille, die er rings um sich geschaffen hatte wie eine Aura. Schleichen war in Menschengestalt leichter. Er spürte die Gefahr auf seiner Haut wie eine beißende Eisschicht. Er konnte die Nähe der Uruschge fühlen. Die Horde – eine Herde mochte er sie nicht nennen – lief verstreut in einem weiten Kreis um das Schlachtfeld.
    Dort musste er hin; durch die Reihen der Feinde.
    Er konnte die Verzweiflung seiner Tyrrfholyn bis ins Mark spüren. Er hielt sich zurück, sandte seine Gedanken nicht aus, um Zuversicht, Trost und Hoffnung zu spenden. Zu leicht würden seine gebündelten Emotionen von den Feinden wahrgenommen.
    Es hatte ihn erschüttert, dass es tatsächlich ein Clan seiner eigenen Tyrrfholyn war, der sich gegen die Ra-Yurich verschworen hatte. Er hatte gewusst, dass die Zeit des Friedens allen zu viel Muße für politische Machenschaften ließ. Doch über Vorrechte und die Zuordnung von Weidegründen zu debattieren, war eine Sache. Verrat und Krieg gegen die eigenen Leute anzuzetteln war etwas gänzlich anderes.
    Persönlich hatte er Hre-Hyron nie besonders gemocht. Der Leithengst der Re-Gyurim war ihm immer ein wenig zu gierig gewesen. Doch wie weit sein arroganter Ehrgeiz ihn treiben würde, das hatte Esteron nicht geahnt. Es machte ihn wütend, nicht zuletzt auf sich selbst, weil er Hre-Hyron unterschätzt hatte. Längst hätte er ein klärendes Gespräch mit dem anderen Hengst führen sollen. Doch bei aller friedlichen Philosophie der Einhörner war das kein angenehmes Szenario. Leithengste waren nicht nur von Vernunft, sondern auch von Instinkt getrieben. Wo man dem Instinkt nicht nachgeben wollte, gebot es die Vernunft, Situationen aus dem Wege zu gehen, in denen man die friedvolle Gelassenheit seiner selbst aufs Spiel setzte.
    Vielleicht hätte er einer Verbindung von Kanura und Eryennis zustimmen sollen. Doch er hatte darin mehr ein Problem als eine Lösung gesehen, außerdem war er sich nicht einmal sicher gewesen, ob Kanura das wirklich gewollt hätte. Nun war es ohnehin zu spät. Wo Eryennis war, wusste Esteron nicht, doch dass er Kanura noch einmal wiedersehen würde, glaubte er nicht. In seinem Sinn sah er seinen blutüberströmten Sohn in der Halle von Sto-Nuyamen.
    Es schmerzte. Es tat so weh, dass er schreien mochte, brüllen und wüten. Doch er blieb still.
    Wie hatten sich die Re-Gyurim mit den Uruschge verbünden können? Esteron verstand es nicht. Ehrgeiz war nachvollziehbar. Gier konnte Esteron auch zu einem Teil verstehen. Selbst der Jagdinstinkt eines Raubtiers war begreiflich, diente er doch dem Überleben. Doch Mord aus Lust am Töten und Freude am Trug überstieg seine Vorstellung.
    Er hatte den Waldrand in der Nähe des Schlachtfeldes nun beinahe erreicht. Vorsichtig und leise erklomm er einen Baum. Zwar waren auch die Uruschge in der Lage, sich in Menschengestalt zu wandeln, aber ob sie aber in dieser Gestalt nur ein Trugbild waren oder tatsächlich menschliche Fähigkeiten hatten – wie zum Beispiel klettern –, wusste Esteron nicht. Er hoffte, nicht.
    Esteron war kein leichter Mann. Es war viele Jahre her, dass er das letzte Mal auf Bäume gestiegen war – als Fürst der Tyrrfholyn hüpfte man gemeinhin nicht in irgendwelchem Geäst herum. Doch er fühlte sich sicherer hier über dem Boden, in

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