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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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vor. Ihr Kopf fühlte sich vollkommen leicht und leer an, ein bisschen wie das Pappmaschee-Haupt einer Marionette.
    Sie streichelte dem Pferd ein letztes Mal über die Stirn und ging dann langsam an der Mauer entlang dem Bach entgegen. An dessen Ufer sollte es ihr gelingen, am Steinwall vorbeizukommen, ohne in Brennnesseln zu steigen oder sich allzu sehr die Kleidung zu versauen – immer vorausgesetzt, sie rutschte nicht ab und fiel in den Bach. Nun, tief schien er ja nicht, ertrinken würde sie also kaum, und es war warm genug, ein Bad in den heiligen Fluten zu überleben, dachte sie grinsend.
    Tatsächlich war es noch immer sehr heiß. Wie herrlich wäre es, einfach alle Kleider abzulegen und sich ein wenig in dem Bach abzukühlen? Die Idee schien ihr ausnehmend verlockend.
    Andererseits wäre es schon peinlich, wenn ausgerechnet dann irgendein Wallfahrer zum Beten käme, während sie splitterfasernackt in einem heiligen Bach saß. Una kicherte. Waren Bäche aus heiligen Quellen auch heilig? War der Ganges am Anfang so heilig wie am Ende? War sie völlig bescheuert, über so etwas nachzudenken?
    Das Pferd war ihr jenseits der Mauer zum Wasserlauf gefolgt.
    » Begleitest du mich? « , fragte sie. » Was hältst du davon, wenn wir ein bisschen baden? Ist heute vielleicht sogar St.-Kieran’s-Tag? Meine Mutter hat erzählt, dass es da eine alte Sitte gibt, mit seinem Pferd ein rituelles Bad im Fluss zu nehmen. Die Kirche meint, es hätte mit einem Segen zu tun, aber meine Mutter behauptet natürlich, dass sich das Ritual auf irgendetwas Vorchristliches bezieht, die Zähmung der Pferde, die Überwindung von Wasserungeheuern oder so was. «
    Das Pferd blieb stehen und warf ihr einen beinahe skeptischen Blick zu.
    » Schon gut. Du musst meiner Mutter nicht glauben. Sonst tut’s ja auch keiner. « Sie kicherte erneut. » Du bist doch kein Wasserungeheuer, oder? «
    Das Pferd schnaubte verächtlich.
    » Man nennt sie Kelpies « , fuhr Una fort. » Eine echt gruselige Legende. Sie ziehen Menschen unter Wasser und ertränken sie. Ob sie sie dann fressen, weiß ich nicht, aber warum sollten sie ihre Opfer sonst ertränken? Aber wenn ein Mensch es schafft, sich auf den Rücken eines Kelpies zu schwingen und ihn zu reiten, dann muss der ihn dahin tragen, wo er hinwill. Also, Kelpie, wie wär’s mit einem kleinen Ausritt? «
    Das Pferd schüttelte den Kopf und flehmte, als wollte es den Gehalt von Unas Worten schmecken. Es zeigte dabei eine beachtliche Zahnreihe. Tatsächlich sah es dabei alles andere als freundlich aus, aber Una war sich sicher, dass das nichts zu sagen hatte.
    Sie hatte den Bach erreicht. Das Ufer war steil und die Erde feucht und ziemlich rutschig. Sie würde aufpassen müssen, damit sie kein unfreiwilliges Bad nahm.
    Sie balancierte auf dem abschüssigen Grund. Auch das Pferd war inzwischen ganz nah am Wasser. Es blickte zu ihr hinüber, schielte beinahe, und die dunklen Augen bekamen einen weißen Rand. Es hatte die Ohren angelegt. Das war kein gutes Zeichen für eine weitere Freundschaft.
    Plötzlich hörte Una hinter sich ein Geräusch. Es durchschnitt die Stille, deren Präsenz sie inzwischen gar nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte. Sie fuhr herum. War jemand gekommen?
    Ihr Blick fiel auf die Quelle. In der Steinumrahmung brodelte es. Fassungslos blickte Una auf das schäumende Nass. War das jetzt ein Wunder? Und falls ja, was bedeutete es?
    Etwas stach aus dem Wasser. Es sah fast aus wie eine tote Hand. Una erstarrte und wünschte sich, sie hätte die Mauerseite bereits gewechselt und könnte nun auf dem Pferd so schnell wie möglich davonreiten. Das hier war definitiv unheimlich. Irgendetwas war in dem Brunnen. Und sie hatte daraus getrunken. Unwillkürlich flog ihre Hand zum Mund. Eklig! Wenn da eine Leiche drin war, dann hatte sie sich vielleicht vergiftet!
    Sie sah sich nach dem Pferd um. Vielleicht konnte sie es wirklich zur Flucht nutzen? Doch es stand nicht mehr da, wo sie es eben noch gesehen hatte, auf der anderen Seite der Mauer. Stattdessen konnte Una gerade noch erkennen, wie sich das Wasser des Baches über etwas schloss, das hineingesprungen war.
    Das Pferd war das bestimmt nicht, der Bach war zu flach, als dass es darin hätte vollständig verschwinden können. Tatsache war, das Pferd war weg, und im Bach drifteten konzentrische Kreise auseinander, die sich schnell in der Strömung verloren.
    Panisch blickte Una zurück zum Brunnen. Etwas Großes schoss daraus hervor, schien einen

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