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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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verreist, wäre das nicht passiert. Wenn sie nicht unbedingt allein hätte herumreisen wollen, wäre das nicht passiert. Wenn sie dem Kerl gleich aus dem Weg gegangen wäre, wäre das nicht passiert.
    Doch es passierte. Una hatte die Augen aufgerissen, doch die Fluten waren dunkel. Vielleicht türmte sich die Erde darüber. Vielleicht war der Tag zu Ende. Vielleicht war alles vorbei. Es war kalt. Doch Una war heiß, denn die Ahnung, dass sie nun sterben würde, wurde Sekunde um Sekunde mehr zur Gewissheit. Weshalb nur? Sie hatte dem Typen doch nichts getan.
    Er zerrte an ihrem Ellenbogen, versuchte im Wasser zu schwimmen, das auf seltsame Weise anders war, stürmisch, wie ein Orkan, der einen umblies. Fast riss er ihr den Arm aus, als sie immer wieder hängenblieb – sie wusste nicht einmal, woran, nahm keinen Boden wahr, sah kein Ufer. Doch ihre Satteltaschen hatten sich an ihrem Gürtel verhakt, und ihr Rucksack war im Weg. Und es schien eng hier, doch gleichzeitig zu tief und zu weit entfernt von Rettung.
    Nicht einmal schreien konnte sie. Wieder zog er an ihr, riss erneut schmerzhaft an ihrem Arm. Dann war der Moment da, in dem sie nicht mehr anders konnte. Ganz von allein öffnete sich ihr Mund, und ihr Atem entwich in Blasen.
    Nicht einatmen, dachte sie noch, doch sie hatte keinen Einfluss mehr auf ihre Reflexe. Abschied, dachte sie. Nicht einmal ein Abschied war ihr vergönnt. Sie würde einfach verschwunden sein. Una Merkordt, auf einer Radtour in Irland auf Nimmerwiedersehen verschollen.
    Mit diesem Gedanken wurde es dunkel. Die Dunkelheit blendete den Schmerz in ihrer Brust aus: Ihre Lunge wehrte sich gegen den Ansturm des Wassers. Dass es so wehtun würde …
    Etwas Schweres drückte ihren Brustkorb nieder. Ein Schlag auf ihr Brustbein traf sie, noch einer und noch einer. Jemand zog ihre Arme in die Länge, zerrte an ihr.
    » Una! « , zischte eine eindringliche Stimme. Sie war unendlich weit weg. Und Una musste auch nicht zuhören, denn sie starb, war schon gestorben. Etwas blockierte in ihren Bronchien. Sie brannten, spannten, drohten zu explodieren.
    Einen Augenblick später spuckte Una, hustete, kotzte und röchelte. Sie rang pfeifend und grachelnd nach Atem, doch es wollte keine Luft in sie hinein. Sie krümmte sich vor Panik und Schmerz. Jemand schlug ihr auf den Rücken. Oder war das Teil des Sterbens? Etwas hielt ihren Kopf.
    » Atme, Una! Los! Mach! «
    Wieder sog sie an der Luft, die sie umgab und die doch nicht in ihre Lunge wollte. Jemand rollte sie zurück auf den Rücken. Das war nicht besser. Sie schlug panisch um sich, konnte noch nicht einmal begreifen, was da geschah, verstand nur, dass sie keine Luft bekam.
    So nicht, dachte sie. So nicht!
    Finger bogen ihren Mund auf. Dann erfüllte warme Luft sie, drang kraftvoll an allen Hindernissen vorbei.
    Nicht genug.
    » Ausatmen! « , befahl die Stimme.
    Nur das nicht. Nicht ausatmen. Ohne Luft würde sie ersticken. Jemand drückte ihr unnachgiebig auf den Brustkorb. Sie stöhnte, und schon waren da wieder diese weichen Lippen, und Luft strömte in ihren Körper. Und eine Kraft, die sie spürte, aber nicht zu deuten vermochte, kroch ihr von außen über die Haut, schien in sie einzusinken, sie zu durchdringen, und war doch so völlig fremd, dass Una vor Angst würgte. Etwas – eine Art Macht – schob sich in Richtung ihrer Seele, und zum ersten Mal in ihrem Leben spürte Una, dass sie eine Seele hatte, fühlte, dass diese nicht an einem Fleck angesiedelt war wie ein Organ, sondern sie in ihrer Gesamtheit durchdrang. Und was immer da kam, war fremd und hatte in ihrer Seele nichts zu suchen.
    Als würde die Wirklichkeit mit einem Mal in ihren Fokus gerückt, wusste sie, wer das war, der sich da bemühte und ihr entschieden zu nahe kam, sowohl körperlich als auch seelisch. Sie schlug noch mehr um sich, und dann hatte er ihren Oberkörper vom Boden hochgerissen und hielt ihn mitsamt ihren Armen, die er ihr an die Seite presste, fest.
    » Ruhig, Una. Ganz ruhig! Nicht ausschlagen! «
    Sie rang nach Luft. Er lockerte seinen Griff etwas. Wieder war ihr, als würde die Welt um sie schwarz, verengte sich von außen nach innen, wie eine Kameralinse. Sie merkte selbst, wie sie erschlaffte, begriff, dass sie in den Armen des Mörders lag, der sie hin und her wiegte.
    » Alles wird gut « , erklang es aus unendlicher Ferne. Sie hasste diesen Satz, denn er kam immer nur dann zum Einsatz, wenn man gerade von der Überzeugung überfahren wurde, dass nie

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