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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Witterung.
    Hoffentlich würde er sie nicht finden. Er war einfach von ihr fortgegangen, mit der Waffe in der Hand. Zunächst hatte Una gar nicht begriffen, dass er diesmal nicht hinter ihr her war, sondern hinter dem Wesen, dessen Schemen sie gesehen und dessen Anwesenheit sie gespürt hatte. Einen Augenblick lang hatte sie verloren dagestanden und nicht gewusst, was sie tun sollte.
    Dann hatte sie die Augen gesehen.
    Zumindest nahm sie an, dass es Augen waren. Zwei glühende Punkte, dicht nebeneinander, die sich unstet in der Dunkelheit bewegten. Beinahe hätte sie geschrien, doch ihr war der Schrei im Hals stecken geblieben, als die orange-funkelnden Lichter auf sie zugekommen waren. Ein Tier, dachte sie. Weil es große Augen waren, vermutete sie zunächst, dass es sich um ein ziemlich großes handelte. In der Finsternis war es schwierig, mehr als eine Bewegung zu erkennen, und so dauerte es qualvoll lange Sekunden, bis Una schließlich auffiel, dass die Augen der Kreatur in etwa auf ihrer Kniehöhe waren.
    Tiger waren größer, oder? Und wie stand es mit Wölfen? Sie versuchte sich einzureden, dass es unwahrscheinlich war, in Irland plötzlich einem Tiger oder einem Wolf gegenüberzustehen, aber aus irgendeinem verschwommenen Grund beruhigte sie das nicht.
    Die Kreatur hielt inne – und nun war der funkelnde Blick direkt auf Una gerichtet! Sie erstarrte. Doch was immer da war, es schien sich auch nicht mehr zu bewegen. Sie blinzelte, doch sie konnte einfach keine Gestalt ausmachen, nur etwas Nachtgraues, Unförmiges.
    Vielleicht erwies es sich jetzt doch als Vorteil, einen Irren mit einer Waffe dabeizuhaben. Natürlich nur, wenn man sich sicher sein konnte, dass der Kerl wusste, worauf er es abgesehen hatte und worauf nicht. Una schnaubte unwillkürlich auf. Von ihm war somit sicherlich keine Hilfe zu erwarten. Gerne hätte sie sich nach Kanura umgesehen, doch das hieße, die funkelnden Punkte vor ihr aus den Augen zu lassen.
    Wieder rief sie sich die Raubtiere Irlands ins Gedächtnis. Sie wusste, dass es keine Schlangen gab. Das war gut, denn bei der Augengröße müsste das schon eine sehr gigantische Schlange sein. Nein, es war nicht gekrochen, es musste etwas auf vier Beinen sein.
    Wieder stellte sich die Frage: schreien oder nicht schreien? Gerade, als sie sich einen Ruck geben wollte, um davonzulaufen, geschah etwas.
    » Mensch? « , erklang eine Stimme, die von jenem dunklen Ort auszugehen schien, an dem die schimmernden Nachtaugen verharrten. Die Stimme klang knarzig und ungewöhnlich.
    Hatte sie sich verhört? Ein kalter Schauer rann ihr den Rücken hinab.
    » Mensch? « , erklang es erneut.
    Unas Gedanken überschlugen sich. War ihr Gegenüber ein Zwerg oder ein Kleinwüchsiger? Auch wenn er ganz außergewöhnlich kleinwüchsig sein musste, er hatte ihr immerhin eine Frage gestellt!
    » Ja « , flüsterte Una und kam sich merkwürdig dabei vor.
    » Nicht hier sein. Hier ist gefährlich « , sagte die Stimme und drehte offenbar den Kopf, denn die Augen veränderten sich, erloschen und erstrahlten erneut.
    Una nickte, obgleich sie sich nicht sicher war, ob ihr geheimnisvolles Gegenüber das in der Dunkelheit überhaupt sehen konnte. Er hatte recht: Nicht hier zu sein, wäre schön und weitaus ungefährlicher.
    » Verstecken vor Meister! « , sagte die Stimme.
    » Oja! « , flüsterte Una, und ihr war es schlagartig egal, ob es sich hier um einen Kleinwüchsigen oder einen Leprechaun mit begürteltem Hut handelte. Verstecken klang gut. Verstecken, bis es Tag wurde und sie etwas sehen konnte. Vielleicht konnte sie dann ihr Fahrrad wiederfinden. Dann würde sie zurück zum Cottage fahren und sich keine drei Schritte mehr davon entfernen. » Wo verstecken? «
    Ihr fiel auf, dass sie automatisch in der gleichen ungrammatikalischen Weise wie die Kreatur in den Schatten sprach. Dabei fand sie das immer etwas diskriminierend einem Fremden gegenüber.
    » Ich meine, wissen Sie, wo ich mich verstecken könnte? Schnell? «
    » Schsch… schweigen. Menschen schweigen. «
    Una riskierte einen Blick über die Schulter, konnte Kanura jedoch nur noch als Schemen in einiger Entfernung im Dunkel ausmachen, weil die helle Haut seines nackten Rückens sich im Licht des Mondes vom Dunkel der Umgebung etwas absetzte. Er schien reglos dazustehen, als lauere er auf etwas.
    » Komm « , drängte die Stimme. Dann waren die funkelnden Augen plötzlich verschwunden.
    » Wo sind Sie, haben Sie sich umgedreht? « , fragte Una

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