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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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gar nicht weg gewesen. Doch es hatte ihr gereicht, um zu verschwinden. Nur wohin? Und warum?
    Das Warum war schnell beantwortet. Sie hatte schreckliche Angst vor ihm. Völlig grundlos, weil er nichts weiter wollte, außer sie zu retten. Kanura musste Una aber zugestehen, dass die Reaktion für eine Menschenfrau, die nicht wusste, was ihr da geschah, wo sie war und was er von ihr wollte, vermutlich schon verständlich war. Dennoch schüttelte er ungehalten den Kopf: Sie hatte einfach nichts begriffen! Und er durfte ihr das nicht einmal zum Vorwurf machen, da Menschen schließlich keine Einhörner waren – ihr Begriffsvermögen war zwar nicht geringer, aber doch gänzlich anders ausgelegt.
    Doch das war in diesem Moment alles unerheblich. Das Menschenmädchen Una war verschwunden. Einen Augenblick schlich sich die Versuchung in Kanuras Gedanken: Sie wollte ihn nicht in der Nähe haben. Also könnte er sie einfach auch in Ruhe lassen. Er konnte gehen. Ohne sie. Das wollte sie schließlich so.
    Er schalt sich ob der eigenen Verantwortungslosigkeit. Sie wusste nicht einmal, dass sie die Welten gewechselt hatte! Es war seine Aufgabe, sich um sie zu kümmern. Und es würde seine Aufgabe bleiben, wenn sie nicht zurückkonnte. Eine lebenslange Aufgabe. Er seufzte. Er hatte einen Menschen bekommen.
    Also, wo konnte sie hin sein? Ein Uruschge hatte sich während seiner kurzen Abwesenheit sicher nicht lautlos angepirscht und sie verschleppt. Gewiss hätte sie sich lautstark gewehrt, wenn jemand sie weg und in die Nähe von Wasser gezogen hätte. Wenn man gerade fast ertrunken war, würde man das Nass eher meiden wollen.
    Er hob ihre Taschen auf und befestigte sie an seinem Gürtel. Sie waren wirklich unhandlich. Irgendwann würde er nachsehen, was sie da mit sich herumschleppte.
    » Una? « , fragte er. Obwohl er nur leise gerufen hatte, klang seine Stimme unnatürlich laut in der Nacht. Fast bereitete ihm die kahle Landschaft selbst Unbehagen. Das sollte sie nicht. Talunys war Heimat, Teil von ihm.
    Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, als wartete eine Erkenntnis darauf, an die Oberfläche seines Denkens und Fühlens zu gelangen. Er stand einen Augenblick reglos da, doch weder antwortete Una, noch gab die Nacht ihm Aufschluss darüber, was er wissen müsste.
    Doch da war etwas. Er würde sich damit befassen, wenn er Una wiedergefunden hatte.
    Er konzentrierte sich, ließ die Nacht an seiner Wahrnehmung vorüberziehen, suchte in den Sternen nach Orientierung.
    Ein stechender Schmerz fuhr ihm durch den Kopf. Er hatte die Wunde an der Schläfe vergessen, die ihm der erste Uruschge am See zugefügt hatte. Sie behinderte ihn tatsächlich. Er konnte seine Seele nicht so weit öffnen, wie es ihm ansonsten hätte möglich sein müssen. Die Klarheit des Seins, das ureigenste Element aller Einhörner, war irgendwie vernebelt, und seine Magie war eingeschränkt. Er hoffte inständig, dass sich das durch die Heilgesänge seiner Sippe wieder geben würde, sobald sie den Hof erreicht hatten. So konnte es jedenfalls nicht bleiben. Es war, als verfügte er nur über einen Teil seiner Sinne.
    Doch jetzt war seine Sippe nicht da. Und sein Vater und sein Lehrer waren vermutlich tot. Bislang hatte er den Verlust mehr oder weniger ausblenden können. Es war so viel geschehen, so viel Neues und Verwirrendes. Zu keinem Zeitpunkt hatte er auch nur ein paar ruhige Sekunden gehabt, darüber nachzudenken, wie grauenhaft und furchtbar das alles war. Sein Überlebenswille und seine Kampfbereitschaft hatten ihn einfach weitergetragen – weiter, als er das für möglich gehalten hatte.
    Mit beiden Händen hielt er sich die Schläfen, als könnte er so seinen körperlichen wie auch seelischen Schmerz lindern. Doch das ging nicht. Es zerriss ihm fast das Herz. Er spürte, wie ihm Tränen über die Wangen rannen, und wischte sie mit dem Handballen fort.
    Tot. Sein Vater war tot. Gefressen von den Uruschge, die vielleicht schon nach Kerr-Dywwen unterwegs waren, um alle Einhörner zu vernichten. Er musste seine Leute warnen. Vermutlich war er jetzt der Fürst der Tyrrfholyn. Das alles kam viel zu früh. Er war nicht bereit für so viel Verantwortung. Er hatte entschieden zu wenig Wissen angehäuft, hatte sich sehr viel mehr um sein Vergnügen gekümmert als um die Aufgabe, die irgendwann einmal seine werden sollte. Es war noch so viel Zeit gewesen. Einhörner waren langlebig. Und sein Vater war nicht alt.
    Jetzt stand er da, allein in der Nacht, in einer Welt,

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