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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Wüste Gobi rauskommen oder im heiligen Brunnen Semsem in Mekka? Das wäre dann eher schlecht.
    » Meine Welt ist … sehr groß. Und ziemlich … kompliziert. Und man ist nicht überall gleich willkommen. Nicht als Frau. Vermutlich auch nicht als Einhorn. «
    Glaubte sie ihm inzwischen? Una wusste es selbst nicht. Das große Einhorn war nicht fortzuleugnen, und wenn es hier Einhörner gab, dann mochte es schon stimmen, dass sie nicht mehr in Irland war. Vermutlich würden gleich der feige Löwe, der herzlose Blechmann und die blöde Vogelscheuche aus dem Zauberer von Oz auftauchen. Oder Shrek und der Lebkuchenmann.
    Unas Geist überschlug sich fast in dem Bemühen, die Realität zu begreifen und sich nicht in den Märchenwelten ihrer Fantasie zu verlieren, die ihr nun die abwegigsten Möglichkeiten und Gefahren aus einem reichen Schatz an Büchern und Filmen ins Gedächtnis riefen. Sie wusste nichts von dieser Welt. Sie wusste nicht einmal, wovor man hier Angst haben musste. Gab es hier Zombies? Oder Vampire? Zwerge, Elben, Hobbits, bösartige Augäpfel? Was waren doch noch einmal Erdwörge?
    Sie blickte zu dem grauen Gebirgsmassiv, das von Horizont zu Horizont reichte und die Welt komplett zu begrenzen schien. Drachen. Ob es hier Drachen gab?
    Sie hielt inne und erstarrte. Sie wusste nicht mehr weiter. Die Flut von Gedanken und Möglichkeiten überforderte sie so sehr, dass sie zu keinem klaren Schluss mehr fähig war. Wenn das alles der Wahrheit entsprach, dann war sie diesem Prachtgaul ausgeliefert. Aber wie konnte es stimmen? Es war völlig absurd.
    Vielleicht war sie ja nur wahnsinnig geworden. War das besser oder schlechter? Und wie sollte sie die Garda anrufen, wenn es hier vermutlich statt Handys sprechende Brieftauben gab? Oder ein Postsystem aus Erdwörgen in blauer Uniform.
    Sie merkte, dass sie sich auf den Boden gesetzt hatte. Ihre Knie hatten sich aus der Verantwortung verabschiedet.
    Was, wenn sie hier nie mehr wegkam? Sie wollte im Herbst zu studieren anfangen. Musik wollte sie studieren, Harfe, Flöte und Gesang. Sie sollte nachsehen, ob ihre Flöte den Übertritt in die andere Welt überlebt hatte. Vielleicht war es das Einzige, was hier noch funktionierte.
    Una wischte sich die Tränen von den Wangen, die irgendwann zu laufen begonnen hatten. Sie hasste sich für die Schwäche. In diesem Augenblick bäumte sich das Einhorn gewaltig auf, und der Mann stand wieder vor ihr, immer noch ohne Hemd. Immerhin hatte er seine Hosen und Stiefel an. Zusammenhangslos überlegte Una, ob man all das in seine Einhorngestalt mitnahm, was man am Körper hatte?
    War er wirklich ein Prinz? Ein gottverdammter Prinz? Und sie mochte ihn noch nicht einmal! Dabei war er wirklich sehr … äußerst … über alle Maßen …
    Er kniete auf einmal bei ihr und nahm sie fest in die Arme. Es wunderte sie nicht mehr, dass er so stark war. Wie ein Pferd eben.
    » Das ist schwer für dich « , sagte Kanura. » Ich weiß. Es tut gewiss ganz fürchterlich weh. Aber ich schwöre, du stehst unter meinem Schutz. Ich habe dich hierher gebracht. Ich bin verantwortlich für dich. Für den Rest deines Lebens. «
    Una zog den Kopf von seiner Schulter, wo er kaum eine Sekunde Ruhe gefunden hatte.
    » Den Rest meines Lebens? Das klingt nicht wirklich lang, so wie du das sagst! « , sagte sie empört, ohne noch genau zu wissen, warum sie diesen Eindruck bekam.
    » Menschen sind kurzlebig. «
    » Wie praktisch für dich! Dann bleibt dir ja noch ein bisschen Zeit für deine Selbstverwirklichung! « , fegte sie ihn an. Sie war plötzlich wütend. Er war ein Entführer, der sie nicht einmal freilassen konnte. Und seine Großzügigkeit schmeckte schal nach Abhängigkeit. Überhaupt gehörte sie nicht hierher.
    » Meine Mutter macht sich bestimmt Sorgen. Ich muss zurück! « , sagte sie so sachlich wie möglich.
    » Wir werden es versuchen « , versprach er. Er klang nicht übermäßig zuversichtlich. » Aber erst müssen wir sehen, dass wir nicht den Uruschge vor die Hufe laufen. Und überhaupt … «
    Er brach mitten im Satz ab, hob den Kopf und lauschte. Seine Nasenflügel bebten, und Una begriff, dass er Witterung aufnahm. Sie selbst roch nichts – jedenfalls nichts anderes, als bisher: klare frische Luft.
    Kanura ließ sie los, trat ein paar Schritte zurück, griff ihre Satteltaschen und legte sie sich um die Schultern. Dann fiel er nach vorne. Und wieder stand das gehörnte Pferd vor Una.
    » Schnell! « , sagte er. » Wir müssen hier weg.

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