Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
Vom Netzwerk:
und durfte es nicht! Vielleicht war auch diese Schwärze eine Aussage, die sie kennen und verkraften mussten. Fast trotzig stand sie da, und ihre Tyrrfholyn folgten ihr, ohne zu sehen und ohne zu begreifen. Niemand wich zurück. Zusammen verstanden sie gerade so viel, um zu wissen, dass hier der Feind war. Im Schwarz des Dunkels, das alle Sinne belagerte.
    Enygme atmete tief ein. Die Luft schien abgestanden und feucht, ganz anders als eben noch. Erst atmete sie flacher, doch dann zwang sie sich, bewusst den Geruch dieser Luft wahrzunehmen. Es roch nicht, als wären sie im Freien. Es roch nach Fels und Wasser und nach Kreaturen, die im Dunkel weilten.
    Ganz langsam entstand ein Bild vor Enygmes Augen. Sie hörte das tiefe Einatmen ihrer Mitstreiter und wusste, dass auch sie ähnliche Eindrücke wahrnahmen. Ein endloser Gang voller Schatten zog sich vor ihnen ins düstere Nichts. Woher das spärliche Licht kam, das den Tunnel nun erhellte, sah man nicht. Dann bewegte sich etwas, etwas Rundes, Kleines. Füße patschten eilig auf unebenem Grund.
    Pelzschrate waren selten. Rund und bissig und gefährlich. Sie unterwarfen sich, wem sie mussten, waren Geschöpfe desjenigen Meisters, der sie schuf. Sie zu kreieren, war übles Werk.
    Höhle, dachte Enygme. Es sah aus wie ein enges Höhlensystem. Weit im Südwesten gab es Kalksteinberge, dort waren Höhlen bekannt, schimmernde Tropfsteine, weite Kavernen wie filigrane Kathedralen. Doch dies sah nicht nach Kalkstein aus. Es war viel zu dunkel. Zu eckig. Die Felsen waren dunkelgrau.
    Der Schrat blieb stehen und starrte Enygme direkt in die Augen. Wie konnte das sein? Sie war doch an der Yssen und nicht im Dunkel. Dies war nur eine Vision.
    Aber was, wenn sie sich täuschte?
    Sie versuchte, den weichen Boden unter ihren Füßen zu spüren, von dem sie wusste, dass er eben noch da gewesen war. Doch sie spürte nichts. Als hätte man sie ihrer Sinne beraubt, stand sie im Nichts, sah Fremdes, fühlte nichts als Kälte, spürte den Grund nicht unter den Hufen, hörte den stillen Gesang ihrer Gemeinschaft nicht mehr.
    » Nein! « , schrie der Schrat.
    Es war eine Begrüßung des Entsetzens. Was entsetzte ihn nur so? Das runde Wesen stand reglos und sah sie weiter unverwandt an. Wenn es sie wahrnahm, konnte es sein, dass sie tatsächlich dort war? Wie war sie dorthin gekommen? Wie würde sie wieder zurückkehren?
    Der Gang, der sich in der Dunkelheit verlor, war zu niedrig und eng für einen Tyrrfholyn. Sie würde sich wandeln müssen. Doch sollte sie sich überhaupt bewegen? Würde es den Kreis brechen, in dem sie eben noch sicher gestanden hatte? Und wo würde sie sein, wenn sie es tat?
    Wo waren die anderen Tyrrfholyn? Enygme sandte ihre Gedanken aus zu den anderen Teilnehmern der Hörung, doch sie konnte sie nicht mehr spüren. Eben waren sie noch präsent gewesen, hatten eine Einheit mit ihr gebildet. Jetzt gab es nur den Pelzschrat und die Dunkelheit.
    Sie konnte nicht hier sein! Nicht einmal die Magie der Tyrrfholyn konnte einen von einem Ort zum anderen transportieren in nichts als einem Augenblick. Es war unmöglich.
    Doch was, wenn es nicht die Magie der Tyrrfholyn war? Wenn hier etwas anderes, etwas Stärkeres und Schrecklicheres am Werk war? Vielleicht war sie hier, um das herauszufinden.
    Vorsichtig setzte sie einen Huf nach vorne, noch ohne ihren Körper mitzubewegen. Es widerstrebte ihr, den Zirkel aufzubrechen, auch wenn sie die Einheit der Hornspitzen und die Zusammengehörigkeit der Hörungsteilnehmer nicht mehr fühlen konnte. Eine ungekannte Einsamkeit hüllte sie plötzlich ein und nahm ihr fast den Atem. Es war eine Einsamkeit, die körperlich spürbar war, sie durchdrang einen voller Kälte. Etwas zog an Enygmes Seele wie eine Spinnerin an der Wolle ihres Rockens.
    Enygme meinte, sie müsste ersticken. Gab es hier keine Luft zum Atmen? War sie etwa unter Wasser? Waren die Uruschge während der Hörung gekommen und hatten sie in ihr nasses Reich gezogen? Aus weiter Ferne näherte sich etwas. Ein Schatten bewegte sich auf sie zu. Eine Form war nicht erkennbar, aber ein Klang umgab den Schemen. Er war zugleich unausweichlich und schleichend, kaum hörbar, aber doch präsent und von schneidend zarter Schönheit. Enygme legte die Ohren an und stöhnte.
    Weglaufen? Im Gegenteil, sie sollte darauf zusteuern, sollte sich dem, was da kam, stellen und es begreifen, denn sie ahnte, dass genau das wichtig war. Antworten bekam man nicht, ohne Fragen zu stellen. Fragen aber

Weitere Kostenlose Bücher