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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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war schon dunkel, als sie wieder zum Cottage zurückfuhren. Irene brauchte ihre ganze Konzentration, um das Auto unfallfrei nach Hause zu lenken. Wenn einem vor lauter Angst und Verlust der Kopf schwirrte, sollte man nicht Auto fahren, dachte sie und seufzte.
    Es war ein Glück, dass es hier so wenig Verkehr gab und ihre Mitfahrer nicht wussten, wie gefährlich Autofahren war.
    Oder doch? Irgendwann legte ihr Esteron, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, seine große, warme Hand auf den Schenkel. Sie erschrak, begriff dann aber, dass dies kein Annäherungsversuch war, sondern er sie nur beruhigen wollte. Dennoch war der Effekt zweigeteilt: Einerseits fühlte sie sich sofort in ihrer Angst nicht so allein, andererseits ließ sie seine Berührung nicht kalt, auch wenn sie in ihrer Sorge um Una momentan für andere Dinge wirklich nicht die Muße hatte.
    Plötzlich begann Esteron zu summen. Es war eine einfache Melodie, doch sie hatte den Zauber von etwas absolut Fremdem. Sie sank Irene durchs Gemüt, lief ihre Nervenbahnen entlang, stärkte ihre Sinne und ihren Mut. Die Magie dieses Liedes faszinierte sie und gab ihr Kraft. Esteron hörte nicht auf zu summen, bis sie den Wagen vor dem Cottage parkte.
    Dort krochen sie alle drei mühsam aus dem Auto. Sie hatten nichts gefunden und waren keinen Schritt weiter.
    » Morgen fahren wir noch einmal zur St. Caolan’s Quelle « , schlug Irene vor. » Vielleicht haben wir dort etwas übersehen. – Oder sollen wir gleich hin? «
    Esteron sah einen Augenblick lang so aus, als wollte er sofort los, doch dann schüttelte er den Kopf, sodass seine lange Mähne flog.
    » Wir ruhen uns aus und gehen im Hellen dorthin « , sagte er.
    Perjanu saß wieder draußen auf der Bank und atmete tief durch, als müsste er die Autoluft aus seinen Lungen pressen. Vielleicht war ihm wieder schlecht.
    » Heute nicht mehr « , murmelte dann auch er. » Ich muss mich ein wenig erholen. Diese Welt frisst an mir. Verzeih mir die Schwäche, mein Fürst. «
    Esteron nickte. » Ich spüre es auch. Meine Kraft lässt nach. Das, was ich sonst an Energie aus Talunys ziehe, steht hier nicht zur Verfügung. Wenn es hier magisches Potenzial für uns gibt, dann wohl nicht umfassend und überall. «
    » Heißt das, ihr könnt hier nicht überleben? « , fragte Irene besorgt.
    » Überleben selbst ist sicher nicht so schwierig, solange man den örtlichen Gefahren auszuweichen weiß – was uns angesichts unserer Unkenntnis ohne deine Hilfe, Irene, schwerfallen würde. Doch das, was du Magie nennst – die Seelenkraft, die uns ermöglicht, Dinge zu tun, die über das rein Physikalische hinausgehen –, verlässt uns mit jeder Anwendung ein wenig mehr. An einer der Quellen konnte ich spüren, dass sie ein besonderer Ort war. Dort gab es Energie, die wir aufnehmen konnten. Doch in deinem Gefährt oder fast überall in deiner Welt gibt es keine oder immerhin nicht allzu viel davon. «
    Irene musterte ihre beiden Gäste besorgt. » Muss ich Angst haben, dass ihr vor Schwäche umfallt? Sterbt? «
    Eine große Hand fuhr ihr beruhigend über die Haare und blieb in ihrem Nacken liegen.
    » Nein. Doch wenn wir unsere Magie nicht wieder auffüllen können, sind wir vielleicht irgendwann nicht mehr in der Lage, uns zu wandeln. Wir müssen zurückkehren, bevor das geschieht. Mir war nicht bewusst, dass es in deiner Welt so ist. «
    » Mir auch nicht « , fügte Perjanu hinzu. » Ich hätte es ahnen sollen. Es gibt da ein uraltes Lied, über Syrsen, eine Tyrrfholyn, die sich in der Menschenwelt in einen Menschenmann verliebt und sich dort verliert. « Der alte Mann fing plötzlich leise zu singen an:
    » Doch der Liebe Kraft,
    was die Welt nicht schafft,
    gab Syrsen das Leben zurück. «
    Nachdenklich rieb er sich das Kinn und fuhr dann fort: » Im Lied steht Syrsen vor der Entscheidung, entweder ihren menschlichen Geliebten oder sich selbst zu verlieren. «
    » Und wie geht es aus? « , fragte Irene nach einem kurzen Schweigen.
    » Ich weiß es nicht genau. Bislang habe ich geglaubt, es würde tragisch enden, denn es heißt in dem Lied, dass Syrsen schließlich in den Fluten ihre Rettung sucht. Das habe ich als Verzweiflungstat gedeutet. Doch seit heute weiß ich, dass sie vielleicht nur nach Hause gegangen ist, als sie die Möglichkeit dazu fand. In gewisser Weise ist auch das tragisch. «
    » Ein No-Win-Szenario? «
    Perjanu blinzelte fragend, dann senkte er den Kopf. » So etwas kommt vor. «
    Irene nickte.

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