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Die Quellen Des Bösen

Die Quellen Des Bösen

Titel: Die Quellen Des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Kämmen, besonderen Seifen, Stoffbändchen, Haarspangen und -reifen. Wie die Heuschrecken fielen sie über die Braut her und begannen mit dem Schmücken. Dabei gaben sie der jungen Frau allerlei Ratschläge für die kommende Lebensgemeinschaft, angefangen bei Kochrezepten bis hin zum richtigen Verhalten in der Ehe.
    Irgendwann öffnete sich die Tür, und die zweite Braut trat ein.
    »Kalisstra sei Dank«, entschlüpfte es Jarevrån erleichtert. »Fatja, du musst mir gegen diese Matronen zur Seite stehen.«
    »Ein holdes Fräulein in Nöten?«, sagte die Borasgotanerin mit verstellter Stimme, schnappte sich einen Kamm und attackierte eine der Damen. »Zurück mit euch Bestien!« Mit der anderen Hand langte sie in das Körbchen mit den Blütenblättern und bewarf sie damit. »Hinweg, sage ich! Meine getrockneten Feuertropfen werden euch schmelzen lassen wie das Eis in den Sonnen!«
    Kichernd setzten sich die Angegriffenen zur Wehr, Jarevrån langte nach einem Kissen und beteiligte sich, bis im Zimmer Federn, Blätter und andere leichte Sachen schwebten, die fünf Frauen völlig außer Atem glucksten und nur mit Mühe das schallende Gelächter unterdrückten.
    Keuchend hockte sich Fatja neben die Kalisstronin. »Jetzt wirst du doppelt leiden«, hechelte sie und deutete auf die ramponierte Frisur der jüngeren Braut. »Sie werden von vorn anfangen müssen. Ich hoffe, wir kommen noch rechtzeitig zu unserer eigenen Hochzeit.«
    Jarevrån blies sich eine Feder von der Nase und lachte verhalten. »Das war es mir aber wert. Und es hat mir die Aufregung genommen.«
    »Ach, was«, winkte die Schicksalsleserin ab. »Die paar hundert Leute, was macht das schon. Immerhin müssen wir dort nichts rezitieren, sondern einfach nur hübsch aussehen.« Ihr Finger deutete nach hinten. »Da müssen sich die Mütterchen nicht einmal sehr anstrengen.«
    Die »Mütterchen« revanchierten sich für die Angriffe, indem sie mit Genuss bürsteten und kämmten, flochten und zupften, dass den beiden Bräuten das Wasser in die Augen trat, so sehr ziepte es an den Haarwurzeln. Doch die Resultate, die sich unter den geschickten Fingern abzeichneten, sprachen für sich. Kunstvoll türmten sich die Strähnen zu wundersamen Gebilden, verziert und gehalten mit Bändern und anderen Utensilien, die die Jungfern mitgebracht hatten.
    »Mein Kopf wird immer schwerer«, jammerte Jarevrån, aber ihre grünen Augen glitzerten, als sie sich im Spiegel betrachtete.
    »Meiner wird bald nach vorn kippen, und ich werde ihn aus eigener Kraft nicht mehr heben können«, stimmte Fatja in das Wehklagen ein. Sie musterte ihre Züge in der polierten Oberfläche und schaute sich selbst in die braunen Augen.
    Die Umgebung um sie herum verschwamm und wurde dunkler, sie sah nur noch sich, wie sie im Brautkleid vor dem Spiegel saß. Gelegentlich huschten die Hände der Jungfern über ihr Haar, kamen schemenhaft aus dem Dunkel, brachten eine Spange an und tauchten wieder in der Schwärze ein.
    Eine Vision? Fatja wollte aufspringen, doch ihre Füße gehorchten ihr nicht. Eine Männerhand schnellte aus der Finsternis, eine kurze, schmale Klinge blitzte auf und zog einen dünnen, roten Strich an ihrer Kehle entlang. Blut sickerte aus dem Schnitt, sie schrie auf. Schlagartig wurde es hell um sie herum.
    »Was ist los?«, wollte Jarevrån besorgt wissen; eine Hand griff die Rechte ihrer Freundin. Auch die anderen drei Damen schauten sie an und wichen vorsichtshalber einen Schritt zurück.
    Die Frau schluckte. »Es muss die Aufregung sein«, würgte sie hervor. »Ich habe schon Halluzinationen.« Ein schneller Blick auf die reflektierende Oberfläche zeigte, dass sie keinerlei Verletzung aufwies. Trotzdem betastete sie die Stelle. Was sollte das?
    »Du und aufgeregt?«, meinte Jarevrån ungläubig. »Du bist es doch gewohnt, vor vielen Menschen aufzutreten und dich im Mittelpunkt zu befinden.« Dann grinste sie. »Wie findest du es, dass wir bald Schwägerinnen sein werden?«
    Fatja erholte sich von ihrer Beklemmung und verdrängte das Gesehene, so gut es ging, um sich die Hochzeit nicht verderben zu lassen. »Schwägerinnen? Na ja, so etwas in der Art«, nickte sie. »Auch wenn er nicht wirklich mein Bruder ist, ich empfinde so für ihn. Nehmen wir einfach an, wir werden Schwägerinnen. Nicht der schlechteste Gedanke.«
    Sie bat darum, dass das Fenster geöffnet wurde, um frische Luft hereinzulassen. Vereinzelte Federn tanzten im hereinwirbelnden Wind. Fatja verfolgte ihren Flug.

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