Die Quellen Des Bösen
festzuklammern.
Die Türmler zogen sie nach oben. Keuchend sank Waljakov auf den nassen Fels, die Hand vom Gürtel der Frau nicht lösend.
Verdammtes Alter, verdammter Spuk. Er vergewisserte sich, dass Håntra in Sicherheit war, und ließ sie los. Dann richtete er sich auf, band ein Ende des Seiles um seinen Körper. »Haltet das andere Ende fest«, sagte er knapp zu den Türmlern und wankte zu der Stelle, an der er die Gravur entdeckt hatte.
Durch sein unbeabsichtigtes Kratzen war die Zerstörung groß. »Ricksele« war zu Hälfte lesbar, und der Name ihres Kavaliers büßte ebenfalls ein gutes Stück ein. Der letzte Rest schien auf »vaten« zu enden, eine kalisstronische Allerweltsendung bei männlichen Namen.
Prüfend glitt sein Blick über die Mauer, die Finger berührten den Stein behutsam. Ein A am Anfang? Sollte der Geliebte genauso geheißen haben wie der Mann der kleinen Hexe? Kurz beschlich ihn der Gedanke, in Arnarvaten selbst den Täter vor sich zu haben. In Anbetracht seines Alters schied diese Lösung jedoch aus.
Er kehrte zur bewusstlosen Håntra zurück, hob sie vom Boden auf und trug sie ins schützende Innere des Turmes, um nach Anzeichen auf Verletzungen zu suchen. Vorsichtig legte er sie in eine der Schlafkojen, zog den Vorhang zu und entkleidete sie mit der Professionalität eines Kämpfers, der die Verwundung seines Freundes überprüfen wollte.
Um ihren Unterleib bildete sich ein dunkelblauer Bluterguss, der von der Einschnürung durch den Gürtel stammte. Gründlich tastete er die Bauchdecke ab und überprüfte, ob sich darunter etwas anders anfühlte als üblich, ein Organ geplatzt war oder Schaden genommen hatte. Wenn Håntra tatsächlich innere Verletzungen erlitten hatte, so konnte er keine entdecken. Kleinere Blessuren fand er an den Armen und Beinen, die vom Rutschen über die Felswände herrührten.
Zwei Geister, die mich verfolgen, hätte ich nicht verkraftet, dachte er voller schwarzem Humor. Es beunruhigte ihn, dass der Spuk in seinen Verstand und seine Erinnerungen schaute, um ihn mit Bildern aus der Vergangenheit zu narren. Um ein Haar wäre Rickseles Absicht gelungen.
Håntra erwachte mit einem Stöhnen, schlug die grünen Augen auf und verzog das Gesicht. »Sie hätte uns beide beinahe bekommen«, lächelte sie ihn an und blickte an sich herab.
»Ich habe nur nachgeschaut, ob du verletzt bist«, erklärte Waljakov hastig, zurrte die Kleider zurecht und legte eine Decke über sie. Zu seinem Ärger bemerkte er, dass er errötete. Verflixte Weiber. »Ich habe etwas herausgefunden. Zieh dich an, ich berichte dir unterwegs.«
Fluchtartig verließ er die Koje und begab sich an den grinsenden Türmlern vorbei die Treppe zur Plattform hinauf, um auf das Meer zu schauen, damit er auf andere Gedanken kam. Nachträglich fand er Håntras Anblick sehr anziehend.
Weit draußen erkannte er mehrere Fischerboote, die von ihrer Fahrt zurückkehrten und vor dem immer stärker werdenden Wind Schutz im heimatlichen Hafen suchten. Bald würden nur mehr Wahnsinnige den Weg über das tobende Wasser wagen. Große Fahrten unternahmen dann nur noch Schwachsinnige und Unkundige.
»Ich wollte mich dafür bedanken, dass du mir das Leben bewahrt hast«, sagte Håntra und näherte sich ihm. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Du hast mich doch zuerst gerettet«, grummelte er. »Es war also nur rechtens und eine Wiedergutmachung, nichts Besonderes.« Knapp schilderte er ihr seine Entdeckung an der Turmwand.
Die Kalisstronin fuhr ihm mit der Hand am Unterkiefer entlang, streichelte den silbrig weißen Bart. »Wir scheinen Fortschritte zu machen. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, meine Schwester zu erlösen.« Sie wirkte etwas unsicher, als sie weiterredete. »Ich habe schon seit Längerem den eigennützigen Wunsch, dass du im Diesseits verweilst«, gestand sie und blickte wie er auf die See.
Waljakov spürte, dass sie auf eine Antwort wartete.
Er seufzte.
Dies war genau das Kapitel im Leben eines Mannes, in dem er so unbedarft wie kein Zweiter war, vielleicht einmal abgesehen von dem jungen Lodrik. Sicher, es hatte Frauen in seiner Vergangenheit gegeben, meist Kämpferinnen seiner Art oder Bekanntschaften, mit denen er niemals lange zusammenblieb, bis er sich für die Einsamkeit entschied. Es hatte niemals ausgereicht, um sich mit dem Wesen der Frauen länger und intensiv auseinander zu setzen.
Was sich nun anbahnte, schien den Rahmen dessen, was er
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