Die Quellen Des Bösen
Wesen in menschlicher Gestalt blickte ebenfalls auf den großen Marktplatz. »Wie erfreulich das Volk doch teilnimmt, nicht wahr?«
»Es leidet mehr, als ich es tue. Sie werden ihn schwer vergessen«, prophezeite der Tadc mit düsterer Stimme.
»Sie werden ihn vergessen, sobald Ihr die ersten Erfolge erzielt«, widersprach Nesreca sanft und legte einen Arm auf den Rücken. Jede Bewegung, jede Betonung, der Sitz der tarpolischen Uniform, ja, der gesamte Eindruck gestaltete sich vollendet.
Die Vergänglichkeit, das bemerkte Govan einmal mehr, berührte seinen Konsultanten erfolglos. Wie in all den Jahren zuvor präsentierte sich der Vertraute als gut aussehender, bartloser Mann um die Dreißig, von durchschnittlicher Statur und mit glatten, grausilbernen Haaren, die offen bis auf den Rücken hinabhingen.
Wie gern würde ich seine wahre Gestalt sehen. Der junge Herrscherssohn fuhr sich durchs Haar. »Schaffen es die Steinmetze und Kunstschmiede?«
Bedächtig nickte Nesreca. »Pünktlich zur Krönung ist die Kathedrale für Euch bereit, Hoher Herr.« Er wandte sich zu dem jungen Mann, den er beinahe wie einen Sohn großgezogen hatte. Im aufwändig bestickten Soldatenrock glich er im Halbdunkel fast Lodrik, nur die Bescheidenheit seines leiblichen Vaters hatte er nicht geerbt. Der Uniformstoff strotzte vor Gold- und Silberfäden, Ornamenten und Wappensymbolen. »Und was ist mit den Gaben fürs Volk?«
»Was soll damit sein?«, meinte der Tadc gelangweilt. »Sie sollten mir etwas bringen. Schließlich übernehme ich ihren Schutz in einer Zeit der größten Not.«
»Die Hohe Herrin hat bereits Ochsen, Brot, Wein und Bier für eine Feier geordert«, erklärte sein Konsultant. »Ich wollte das nur von Euch bestätigt wissen.«
Govan drehte sein Gesicht zu Nesreca. »Wenn meine Schwester Euch etwas befiehlt, dann habt Ihr das gefälligst auch zu tun, Mortva. Ich vertraue ihr voll und ganz.«
Der Berater verneigte sich leicht. »Ansonsten sind die Einladungen an die Adligen des Landes ergangen. Die Abgesandten der Vizekönigtümer werden es dagegen nicht schaffen, in so kurzer Zeit nach Ulsar zu kommen.«
»Mein Vater fing ähnlich stürmisch an«, kommentierte Govan knapp. »Und er wurde der mächtigste Mann. Gäbe es ein besseres Vorbild? Ich will einfach nur schnell den Titel des Kabcar tragen.« Der Konsultant lachte leise und samten. »Was ist daran so unterhaltsam, geschätzer Mentor?«, erkundigte Govan sich verdutzt.
»Es ist für Euch doch nichts weiter als eine Zwischenstation. Selbst der Titel des ¢arije ist nur ein Trittstein auf Eurem Weg zum Gipfel der Macht.«
»Ihr müsst es wissen, Mortva. Ihr habt mich gelehrt, dass Macht etwas sehr Nützliches und Schönes ist.«
Nesreca schien belustigt. »Ich habe es Euch gelehrt, ja, gewiss. Die Umsetzung in die Wirklichkeit liegt dagegen ganz in Euren jungen Händen. Und wie mir scheint, werden diese Hände formend und gestaltend wirken.« Er öffnete die Fensterflügel. Das Hämmern und Schmieden, die Rufe der Arbeiter, das Rauschen des Windes und die Gerüche der Stadt wehten in das riesige Zimmer. Seine langen silbernen Haare bewegten sich sanft. »Hört, Hoher Herr … Welche Laute und Düfte wird der Wind uns morgen bringen? Vielleicht das Aroma eines neuen Landes?«
Govan grinste und atmete tief ein. »Nein, lieber Mortva. Morgen riechen wir noch nicht das Odeur anderer Küsten. Aber es wird nicht lange dauern. Zvatochna besiegt die Grünhaare im Handumdrehen, Ihr werdet sehen. Mein nächstes Ziel habe ich bereits herausgesucht. Irgendwann wird der Wind, egal von woher er weht, aus meinem Reich kommen.« Er stockte, überlegte und lachte unvermittelt los. »Mir ist eben eingefallen, dass ich dann einen eigenen Titel erfinden müsste; ¢arije oder Kaiser ist das Höchste, was man auf Ulldart werden kann.« Er schritt hinaus auf den schmalen Balkon, von dem üblicherweise die Flaggen gezeigt wurden. »Aber wie soll ich mich nennen, wenn ich mehr als einen Kontinent beherrsche?« Sein Gesicht nahm einen entrückten Ausdruck an. »Wie nennt sich ein solcher Gebieter, Mortva? « Ein Mann, der noch dazu die Kraft eines zweiten Gottes in sich trägt?
Der Konsultant kreuzte schmunzelnd die Unterarme auf Bauchhöhe. »Es gibt vermutlich unangenehmere Beschäftigungen, als sich eine Bezeichnung für einen nie da gewesenen Regenten zu suchen, Hoher Herr.«
Einer der Schmiede hatte die beiden auf dem Vorbau des Ratsgebäudes entdeckt. Er rief den Menschen auf
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