Die Rache
sichtbaren Fallen zu erkennen, aber es gab ja schließlich auch unsichtbare. Beispielsweise konnte man die Röhre unter Vakuum setzen und dann ein ätzendes Gas injizieren; sobald die Rolle geöffnet wurde und Sauerstoff hineingelangte, entzündete sich das Gas und das Bild verbrannte.
Sie brauchten fast zwei Stunden, um das Hotel zu erreichen, das auf dem Weg zum Flughafen lag. Eine Strecke, die normalerweise zwanzig Minuten dauerte. Artemis zog sich einen dunklen Baumwollanzug an und rief dann über die Kurzwahltaste seines Handys in Fowl Manor an. Aber bevor er wählte, schloss er das Handy über ein Firewire-Kabel an sein Powerbook an, um das Gespräch aufzuzeichnen. Angeline Fowl nahm beim dritten Klingeln ab.
»Arty«, sagte seine Mutter, ein wenig außer Atem, als wäre sie gerade mit etwas beschäftigt gewesen. Angeline Fowl hielt nichts davon, das Leben zu vertrödeln, und sie war wahrscheinlich gerade mitten in einem Tae-Bo-Workout.
»Wie geht es dir, Mutter?«
Angeline stieß einen Seufzer aus. »Mir geht es gut, Arty, aber du klingst schon wieder, als würdest du ein Bewerbungsgespräch führen. Immer so förmlich. Kannst du mich nicht einfach Mum nennen, oder meinetwegen Angeline? Wäre das so schlimm?«
»Ich weiß nicht, Mutter. Mum klingt so kindisch. Vergiss nicht, ich bin inzwischen vierzehn.«
Angeline lachte. »Keine Sorge, das habe ich nicht vergessen. Es gibt nicht viele Jungen in deinem Alter, die sich zum Geburtstag eine Reise zu einer Genetiker-Tagung wünschen.«
Artemis sah mit einem Auge auf die Plastikrolle. »Und wie geht es Vater?«
»Bestens«, sagte Angeline begeistert. »Ich bin überrascht, wie gut es ihm geht. Die Beinprothese ist fantastisch, und er erholt sich zusehends. Er beschwert sich nie. Ich glaube wirklich, dass er jetzt eine bessere Lebenseinstellung hat als vor dem Unfall. Er ist bei einem hervorragenden Therapeuten in Betreuung. Er sagt, das Geistige sei viel wichtiger als das Körperliche. Übrigens fahren wir heute Abend in eine private Kurklinik in Westmeath. Sie ist ihm wegen ihrer wunderbaren Algenbäder empfohlen worden, die sind bestimmt sehr gut für deinen Vater.«
Artemis Fowl senior hatte vor gut einem Jahr bei einer Entführung durch die russische Mafija ein Bein verloren. Glücklicherweise war es Artemis mit Butlers Hilfe gelungen, ihn zu retten. Es war ein ereignisreiches Jahr gewesen. Seit seiner Rückkehr hatte Artemis senior sein Versprechen gehalten, ein neues Leben zu beginnen und keine krummen Dinger mehr zu drehen. Er erwartete dasselbe von seinem Sohn, doch Artemis junior fiel es schwer, seine verbrecherischen Unternehmungen aufzugeben. Obwohl er bisweilen, wenn er seinen Vater und seine Mutter zusammen sah, die Vorstellung, ein ganz normaler Sohn liebevoller Eltern zu sein, gar nicht mehr so abwegig fand.
»Macht er zweimal täglich seine physiotherapeutischen Übungen?«
Angeline lachte erneut, und plötzlich wünschte Artemis, er wäre zu Hause. »Ja, Großvater. Dafür sorge ich schon. Dein Vater meint, in einem Jahr ist er bereit für den Marathon.«
»Gut, das freut mich. Manchmal denke ich, ihr zwei würdet den ganzen Tag nur händchenhaltend durch den Park spazieren, wenn ich nicht ein Auge auf euch hätte.«
Seine Mutter seufzte, dass es im Hörer knisterte. »Ich mache mir Sorgen um dich, Arty. Jemand in deinem Alter sollte nicht so... verantwortungsvoll sein. Mach dir keine Gedanken um uns, sondern lieber um die Schule und deine Freunde. Denk darüber nach, was du wirklich willst. Benutz deinen scharfen Verstand dazu, dich und andere glücklich zu machen. Vergiss die Familiengeschäfte, das Leben ist jetzt das wichtigste Familiengeschäft.«
Artemis wusste nicht, was er sagen sollte. Ein Teil von ihm hätte sie gern darauf hingewiesen, dass es überhaupt kein Familiengeschäft mehr gäbe, wenn er sich nicht heimlich darum kümmerte. Der andere Teil hätte am liebsten das nächste Flugzeug nach Hause genommen, um mit seinen Eltern durch den Park zu spazieren.
Seine Mutter seufzte erneut. Artemis fühlte sich sehr unwohl bei dem Gedanken, dass ein Gespräch mit ihm genügte, um seine Mutter besorgt zu machen. »Wann kommst du nach Hause, Arty?«
»Der Rückflug ist in drei Tagen.«
»Ich meine, wann kommst du wieder ganz nach Hause? Ich weiß, St. Bartleby's ist eine Familientradition, aber wir wollen dich hier bei uns haben. Direktor Guiney wird das sicher verstehen. Es gibt jede Menge gute Tagesschulen bei uns in der
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