Die Rache
Nähe.«
»Ich verstehe«, sagte Artemis. Könnte ich das? , fragte er sich. Einfach Teil einer normalen Familie sein. Seine kriminellen Aktivitäten aufgeben. Wäre er fähig, ein ehrliches Leben zu führen? »In ein paar Wochen sind Ferien. Dann können wir darüber reden«, sagte er. Verzögerungstaktik. »Ehrlich gesagt, kann ich mich im Moment nicht konzentrieren. Ich fühle mich nicht so gut. Erst dachte ich, ich hätte eine Lebensmittelvergiftung, aber es ist nur eine Magenverstimmung. Der Arzt hier hat gesagt, morgen bin ich wieder fit.«
»Armer Arty«, sagte Angeline voller Mitgefühl. »Vielleicht sollte ich dich lieber direkt nach Hause fliegen lassen.«
»Nein, Mutter. Mir geht es schon wieder besser. Wirklich.«
»Wie du meinst. Ich weiß, so eine Magenverstimmung ist unangenehm, aber immer noch besser als eine Lebensmittelvergiftung. So was habe ich mir nämlich vor Jahren mal eingefangen. Trink viel Wasser, und versuch zu schlafen.«
»Keine Sorge, Mutter.«
»Du bist ja bald wieder zu Hause.«
»Ja. Sag Vater, dass ich angerufen habe.«
»Mache ich, wenn ich ihn finde. Ich glaube, er ist im Fitnessraum, auf dem Laufband.«
»Dann mach's gut.«
»Tschüs, Arty. Wir sprechen über alles, wenn du zurück bist«, sagte Angeline. Ihre Stimme klang dunkel und ein wenig traurig. Und sehr weit weg.
Artemis legte auf und ließ das Gespräch sofort auf seinem Computer noch einmal durchlaufen. Jedes Mal, wenn er mit seiner Mutter sprach, hatte er Schuldgefühle. Irgendwie schaffte sie es immer, sein Gewissen zu wecken. Das war eine relativ neue Entwicklung. Noch vor einem Jahr hätte er höchstens ein leises Zwicken verspürt, wenn er seine Mutter anlog, aber jetzt würde ihn selbst der harmlose Trick, den er plante, wochenlang verfolgen.
Artemis beobachtete die Lautstärkeanzeige auf seinem Computerbildschirm. Er war dabei, sich zu verändern, kein Zweifel. Und zwar seit dem Tag, an dem er morgens so merkwürdige verspiegelte Kontaktlinsen in seinen Augen gefunden hatte - genau wie Butler und Juliet. Sie hatten versucht herauszubekommen, woher die Linsen kamen, doch Butlers Kontaktmann in dem Bereich hatte ihnen immer wieder versichert, Artemis hätte sie selbst in Auftrag gegeben. Höchst eigenartig.
Das mit den Kontaktlinsen blieb rätselhaft. Und ebenso Artemis' Gefühle. Vor ihm auf dem Tisch lag Hervés Elfendieb , eine Errungenschaft, die ihn zum besten Dieb seiner Epoche machte. Ein Status, auf den er seit dem Alter von sechs Jahren hinarbeitete. Doch jetzt, wo sein höchstes Ziel buchstäblich in Reichweite lag, dachte er nur an seine Familie.
Ist es an der Zeit, mich zur Ruhe zu setzen? , überlegte er. Vierzehn Jahre und drei Monate alt, und der beste Dieb der Welt. Was kann danach noch kommen? Er spielte noch einmal einen Abschnitt aus dem Telefonat ab: Mach dir keine Gedanken um uns, sondern lieber um die Schule und deine Freunde. Denk darüber nach, was du wirklich willst. Benutz deinen scharfen Verstand dazu, dich und andere glücklich zu machen. Vielleicht hatte seine Mutter Recht. Er sollte seine Fähigkeiten dazu nutzen, andere glücklich zu machen. Doch in ihm war etwas Dunkles. Ein harter Bereich seines Herzens, der mit dem ruhigen Leben nicht zufrieden sein würde. Vielleicht gab es Methoden, andere glücklich zu machen, die nur er beherrschte. Methoden jenseits des Gesetzes. Hinter der dünnen blauen Linie.
Artemis rieb sich die Augen. Er kam zu keinem Entschluss. Vielleicht würde das Leben zu Hause ihm die Entscheidung abnehmen. Am besten kümmerte er sich erst mal um das, was anstand. Etwas Zeit gewinnen und dann überprüfen, ob das Gemälde echt war. Er verspürte zwar leise Gewissensbisse, weil er das Bild gestohlen hatte, aber sie waren nicht annähernd stark genug, um es zurückzugeben. Schon gar nicht an die Herren Crane und Sparrow.
Als Erstes musste er dafür sorgen, dass die Schule nicht nachforschte, was er so trieb. Er würde mindestens zwei Tage brauchen, um die Echtheit des Bildes zu überprüfen, da er einige der Tests nicht selbst durchführen konnte.
Artemis rief ein Tonbearbeitungsprogramm auf und machte sich daran, die Worte seiner Mutter aus dem aufgezeichneten Telefongespräch auszuschneiden und neu zusammenzusetzen. Nachdem er die Stellen, die er brauchte, herausgesucht und sie in die gewünschte Reihenfolge gebracht hatte, passte er den Tonfall an, damit das Ganze echt klang.
Wenn Guiney nach dem Besuch im Olympiastadion sein Handy einschaltete,
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