Die Rache
Stimme zu einem Lallen. »Du heckst was aus. Her mit deinen Händen.«
Die Handschellen wieder angelegt zu kriegen, gehörte nicht zu Mulchs Plan. Er täuschte einen Schwächeanfall vor. »Ich kriege keine Luft mehr«, ächzte er und sank gegen die Wand. »Hoffentlich sterbe ich nicht unter eurer Aufsicht.«
Dieser Satz sorgte für genügend Ablenkung, um noch einmal die Lungen voll zu pumpen. Die Heckplatte krachte erneut, und ein silbriger Riss fraß sich durch den Lack. Überall in der Kabine blinkten rote Druckwarnlämpchen auf. Die Stimme des Piloten dröhnte durch den Lautsprecher.
»Kommt nach vorn!«, rief er ohne jede Spur von professioneller Ruhe. »Die Kiste gibt nach.«
Vishby packte Mulch am Kragen. »Was hast du getan, Zwerg?«
Mulch ging in die Hocke und öffnete die Poklappe an der Rückseite seines Gefangenenanzugs. Er brachte sich in Startposition. »Hör zu, Vishby«, sagte er. »Du bist ein Trottel, aber kein schlechter Kerl, also tu, was der Pilot gesagt hat, und verdrück dich nach vorne.«
Vishbys Kiemen wedelten nur noch schlaff. »Du wirst dabei draufgehen, Diggums.«
Mulch zwinkerte ihm zu. »Ich war schon mal tot.«
Er konnte das Gas nicht mehr länger halten. Sein Verdauungstrakt war aufgepumpt wie ein Heißluftballon. Mulch verschränkte die Arme vor der Brust, zielte mit seinem beschichteten Kopf auf die bereits angeschlagene Heckplatte und ließ die Luft fahren.
Der gewaltige Gasausstoß erschütterte das U-Shuttle bis in seine Nieten und katapultierte Mulch durch die Transportkabine. Er knallte genau gegen den Riss in der Heckplatte und durchbrach das Metall. Seine Geschwindigkeit jagte ihn hinaus ins Meer, unmittelbar bevor die Kabine unter dem plötzlichen Druckabfall nachgab. Eine halbe Sekunde später war der hintere Teil des Shuttles zusammengedrückt wie ein Stück Alufolie. Zum Glück waren Vishby und sein Kollege gerade noch rechtzeitig ins Cockpit geflüchtet.
Mulch schoss, angetrieben von seinem Gas, mit einer Geschwindigkeit von mehreren Knoten Richtung Oberfläche. Seine Zwergenlungen versorgten sich über die im Verdauungstrakt gespeicherte Luft, und der phosphoreszierende Helm aus gehärtetem Speichel beleuchtete seinen Weg mit einem grünlichen Licht.
Natürlich verfolgten sie ihn. Vishby und der Wasserfeenmann waren beide amphibische Atlantisbewohner. Sobald sie das unbrauchbare Heck abgestoßen hatten, tauchten die Aufseher durch die Schleuse und schwammen hinter dem Entflohenen her. Doch sie hatten keine Chance. Mulch verfügte über einen Gasantrieb, und sie besaßen nur Flossen und Flügel. Was sie an Verfolgungstechnik gehabt hatten, lag zerdrückt am Meeresboden, und der Notantrieb des Cockpits war kaum schneller als ein Krebs.
Die Aufseher aus Atlantis konnten nur zusehen, wie ihr Gefangener Richtung Oberfläche sauste und sich mit jeder Blase aus seinem Hinterteil über sie lustig machte.
München.
Butlers Handy war durch den Sprung vom Hotelbalkon in seine Einzelteile zerbrochen, was bedeutete, dass Artemis ihn nicht anrufen konnte, wenn er dringend seine Hilfe brauchte. Der Leibwächter parkte den Hummer in zweiter Reihe vor der ersten Phonetix-Filiale, die er sah, und kaufte sich ein Tri-Band-Handy und eine Sprechanlage fürs Auto. Auf dem Weg zum Flughafen tippte er Artemis' Nummer ein. Vergeblich. Das Handy seines Schützlings war ausgeschaltet. Butler brach die Verbindung ab und versuchte es in Fowl Manor. Niemand zu Hause, und keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter.
Butler atmete tief durch, blieb ruhig und trat aufs Gaspedal. Innerhalb von zwanzig Minuten war er am Flughafen. Er verlor keine Zeit damit, den Hummer bei der Autovermietung abzugeben, sondern ließ ihn einfach direkt vor dem Eingang stehen. Man würde den Wagen abschleppen und ihm ein saftiges Knöllchen verpassen, aber darüber konnte er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen.
Da der nächste Flieger nach Irland komplett ausgebucht war, gab Butler einem polnischen Geschäftsmann zweitausend Euro für dessen Erster-Klasse-Ticket, und eine Dreiviertelstunde später saß er in der Aer-Lingus-Maschine nach Dublin. Er ließ sein Handy an, bis die Triebwerke starteten, und schaltete es wieder ein, sobald die Reifen den Boden berührten.
Es war dunkel, als er die Ankunftshalle verließ. Nur wenige Stunden waren vergangen, seit sie das Schließfach in der Internationalen Bank in München geknackt hatten. Unglaublich, dass in so kurzer Zeit so viel geschehen konnte.
Weitere Kostenlose Bücher