Die Rache
Andererseits, wenn man für Artemis Fowl den Zweiten arbeitete, war das Unglaubliche mehr oder weniger normal. Butler war seit Artemis' Geburt vor etwas mehr als vierzehn Jahren an dessen Seite gewesen, und in der Zeit hatte er mehr abenteuerliche Situationen erlebt als der Leibwächter eines Präsidenten.
Der Fowl'sche Bentley stand in der VIP-Etage des Kurzzeitparkhauses. Butler verband sein neues Handy mit der Sprechanlage und versuchte es erneut bei Artemis. Kein Glück. Doch als er den Anrufbeantworter in Fowl Manor noch einmal abhörte, fand er eine Nachricht vor. Von Artemis. Butlers Finger schlossen sich fester um das Lenkrad. Dem Himmel sei Dank. Der Junge lebte.
Der Anfang der Nachricht war noch ganz normal, aber dann wurde es ausgesprochen seltsam. Artemis war offenbar unverletzt, litt aber möglicherweise unter einer Gehirnerschütterung oder Nachwirkungen des Schocks, denn er behauptete, Unterirdische seien für die Bombe verantwortlich. Eine Wichtelin, um genau zu sein. Und jetzt befand er sich in Gesellschaft einer Elfe, was anscheinend etwas ganz anderes war als eine Wichtelin. Und nicht nur das, diese Elfe war angeblich eine alte Freundin, an die sie sich nur nicht erinnern konnten. Und die Wichtelin war eine alte Feindin, die sie ebenfalls vergessen hatten. Es klang alles sehr seltsam. Butler konnte daraus nur schließen, dass Artemis versuchte, ihm etwas mitzuteilen, und dass in dieser verrückten Geschichte eine Botschaft verborgen war. Sobald er in Fowl Manor war, würde er das Band analysieren müssen.
Dann entwickelte sich die Aufzeichnung zu einem Drama. Weitere Figuren kamen in den Übertragungsbereich von Artemis' Mikrofon: Opal, die angebliche Wichtelin, und ihre beiden Leibwächter. Drohungen wurden ausgetauscht, und Artemis versuchte, die Gefahr durch Reden abzuwenden, was ihm jedoch nicht gelang. Artemis hatte die nicht unbedingt förderliche Angewohnheit, selbst in Krisensituationen überheblich zu sein. Und dieser Wichtelin, oder was immer sie auch sein mochte, gefiel das ganz und gar nicht. Offensichtlich war sie überzeugt, dass sie Artemis von A bis Z ebenbürtig war, wenn nicht sogar überlegen. Mitten in seinem Vortrag befahl sie ihren Handlangern, Artemis zum Schweigen zu bringen, und der Befehl wurde augenblicklich ausgeführt. Butler verspürte einen Moment der Unruhe, bis die Wichtelin sagte, Artemis sei nicht tot, nur betäubt. Artemis' neuer - oder alter - Freundin widerfuhr dasselbe Schicksal, aber erst nachdem sie über die Art ihres bevorstehenden Ablebens informiert worden war. Irgendwas mit den elf Weltwundern und Trollen.
»Das kann doch wohl nicht wahr sein«, brummte Butler und fuhr an der Ausfahrt nach Fowl Manor von der Schnellstraße ab.
Für einen gewöhnlichen Spaziergänger sah es so aus, als wären mehrere Räume in dem Herrenhaus am Ende der Zufahrt bewohnt, doch Butler wusste, dass die Lampen in sämtlichen Zimmern mit Zeitschaltuhren verbunden waren und sich in unregelmäßigen Abständen ein- und ausschalteten. Es gab sogar eine Anlage mit Lautsprechern in allen Räumen, über die Radiostimmen in verschiedene Bereiche des Hauses gesendet wurden. Alles Maßnahmen, um Gelegenheitseinbrecher abzuschrecken. Profis ließen sich davon natürlich nicht beeindrucken.
Der Leibwächter öffnete per Fernbedienung das Tor und fuhr eilig den Kiesweg hinauf. Er stellte den Wagen, entgegen seiner sonstigen Angewohnheit, direkt vor dem Haupteingang ab und zog seine Sig Sauer samt Clip-Holster aus der Magnethalterung unter dem Fahrersitz. Es war gut möglich, dass die Entführer einen Verhandler geschickt hatten. Vielleicht war er sogar schon im Haus.
Sobald er die Tür öffnete, wusste Butler, dass etwas nicht stimmte. Der Zähler der Alarmanlage hätte sofort mit seinem Dreißig-Sekunden-Countdown beginnen müssen, aber nichts geschah. Das kam daher, dass der ganze Schaltkasten mit einer Art leuchtender, knisternder Fiberglasschicht überzogen war. Butler betastete sie vorsichtig. Das Zeug wirkte fast organisch.
Eng an die Wand gedrückt, schlich Butler durch die Eingangshalle. Er warf einen Blick an die Decke. In den Schatten blinkten kleine grüne Lämpchen. Immerhin funktionierten die Überwachungskameras noch. Selbst wenn die ungeladenen Besucher bereits wieder verschwunden waren, müsste er sie auf den Bändern sehen können.
Sein Fuß stieß gegen etwas auf dem Boden. Er sah hinunter. Auf dem Teppich stand eine große Kristallschale, in der die Reste eines
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