Die Rache
Situation analysiert und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir keine Fluchtmöglichkeit mehr haben. Wir hocken auf dem Dach eines albernen Modells vom Artemis-Tempel, umringt von vorübergehend geblendeten Trollen. Sobald sie sich erholt haben, werden sie wieder raufklettern und uns verschlingen. Uns bleibt vielleicht noch eine Viertelstunde zu leben, und ich habe nicht die Absicht, die zu Opal Kobois Unterhaltung mit einem hysterischen Anfall zu verbringen.«
Holly blickte auf und suchte die Decke der Halbkugel nach Kameras ab. In der Dunkelheit blinkten mindestens ein Dutzend verräterischer roter Punkte. Opal konnte ihre Rache aus jeder Perspektive genießen.
Artemis hatte Recht. Die Wichtelin würde sich vor Schadenfreude nicht mehr einkriegen, wenn sie vor laufender Kamera einen Nervenzusammenbruch bekämen. Wahrscheinlich würde sie das Video immer wieder abspielen, wenn das Dasein als Herrscherin der Welt zu stressig wurde.
Tja, das war es dann wohl. Sie fühlte sich eher frustriert als ängstlich. Das Letzte, was Root ihr befohlen hatte, war, Artemis zu retten, und nicht einmal das war ihr gelungen.
»Schade, dass du dich nicht an Commander Root erinnerst«, sagte sie. »Ihr zwei habt euch oft gestritten, doch insgeheim hat er dich bewundert. Aber am meisten mochte er Butler. Die beiden waren auf derselben Wellenlänge. Zwei alte Soldaten.«
Unter ihnen rappelten die Trolle sich wieder auf. Sie blinzelten, um die Sterne vor ihren Augen loszuwerden.
Artemis klopfte sich den Staub von der Hose. »Doch, ich erinnere mich, Holly. Ich erinnere mich an alles. Vor allem an Sie. Es tut wirklich gut, Sie hier zu haben.«
Holly war überrascht, sogar ein wenig schockiert. Eher über seinen Tonfall als über seine Worte, obwohl auch die höchst erstaunlich waren. Sie hatte Artemis noch nie mit so viel Wärme und Aufrichtigkeit reden hören. Normalerweise tat der Junge sich schwer mit irgendwelchen Gefühlsäußerungen, wirkte verlegen und unbeholfen. Das hier passte gar nicht zu ihm.
»Das ist sehr nett von dir, Artemis«, sagte sie nach kurzem Nachdenken. »Aber du brauchst mir nichts vorzuspielen.«
Artemis war verwirrt. »Woran haben Sie es gemerkt? Ich dachte, ich hätte die Gefühle perfekt dargestellt.«
Holly sah zu den Trollen hinunter, die sich erneut zusammenrotteten. Vorsichtig erklommen sie die Schräge, den Kopf gesenkt, für den Fall, dass ein zweiter Blitz kam. »Es war ein bisschen zu perfekt.«
Die Trolle legten an Tempo zu, schwangen ihre behaarten Arme, um sich vorwärts zu stemmen. In dem Maß, wie ihr Selbstvertrauen zurückkehrte, wurden auch ihre Stimmen wieder lauter. Das Geheul schallte vom Kuppeldach zurück. Artemis zog die Knie enger ans Kinn. Das Ende. Alles vorbei. Unfasslich, dass er auf diese Weise sterben sollte, wo doch noch so viel zu tun war. Es war schwer, sich bei dem Geheul zu konzentrieren. Und der Gestank machte es auch nicht leichter.
Holly legte ihm den Arm um die Schultern. »Schließ die Augen, Artemis. Du wirst nichts spüren.«
Doch Artemis schloss die Augen nicht, sondern blickte nach oben, Richtung Erdoberfläche, wo seine Eltern auf eine Nachricht von ihm warteten. Seine Eltern, die nie eine Gelegenheit gehabt hatten, wirklich stolz auf ihn zu sein.
Er öffnete den Mund, um ein Lebwohl zu flüstern, doch bei dem, was er dort oben sah, blieben ihm die Worte im Hals stecken. »Das ist der Beweis«, sagte er. »Ich habe Halluzinationen.«
Holly folgte seinem Blick. Ein Element des Kuppeldachs war entfernt worden, und durch die Öffnung wurde ein Seil heruntergelassen. Am Ende des Seils hing etwas, das aussah wie ein nackter, üppig behaarter Hintern.
»Ich fasse es nicht!«, rief Holly aus und sprang auf. »Das hat aber verdammt lange gedauert!«
Sie schien mit dem Hintern zu reden. Und was noch erstaunlicher war, der Hintern schien zu antworten.
»Danke für die freundliche Begrüßung. Und jetzt schließen Sie sämtliche Öffnungen, ich habe nämlich vor, die Trolle zu betäuben.«
Einen Moment starrte Holly ihn verständnislos an, dann weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen, und ihr Gesicht verlor jegliche Farbe. Sie packte Artemis an den Schultern. »Leg dich flach hin und press die Hände auf die Ohren. Mach Mund und Augen zu. Und vor allem atme auf keinen Fall ein.«
Artemis legte sich auf das Dach. »Sie wollen mir doch hoffentlich nicht erzählen, dass dieser Hintern reden kann.«
»Nein, kann er nicht«, sagte Holly. »Aber er kann was anderes,
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