Die Rache
Erinnerungen. Er spürte förmlich, wie er ein anderer Mensch wurde. Nicht ganz der, der er einmal gewesen war, aber näher daran. Bevor die Unterirdischen ihn als Bedingung für ihre Hilfe bei der Sache mit Jon Spiro einer Erinnerungslöschung unterzogen hatten, war seine Persönlichkeit im Begriff gewesen, sich zum Positiven zu verändern, und zwar so stark, dass er beschlossen hatte, rechtschaffen zu werden und neunzig Prozent von Spiros gewaltigem Vermögen Amnesty International zu spenden. Nach der Erinnerungslöschung war er wieder zu seinem früheren Wesen zurückgekehrt, einschließlich der verbrecherischen Unternehmungen. Im Moment befand er sich irgendwo dazwischen. Er hegte keinerlei Absicht, Unschuldige zu verletzen oder zu bestehlen, aber es fiel ihm schwer, seine kriminelle Ader zu unterdrücken. Manche Leute schrien förmlich danach, bestohlen zu werden.
Die vielleicht größte Überraschung war sein Wunsch, den unterirdischen Freunden zu helfen, und die echte Trauer, die der Verlust von Commander Root in ihm auslöste. Verlust war für Artemis nichts Neues, er hatte im Lauf der Zeit fast alle, die ihm nahe standen, verloren, wenn auch zum Glück nur vorübergehend. Der Tod des Commanders schmerzte ihn ebenso tief. Sein Drang, Julius Root zu rächen und Opal Koboi zu stoppen, war stärker als sämtliche kriminellen Impulse, die er je verspürt hatte.
Artemis lächelte in sich hinein. Offenbar war das Gute eine stärkere Motivation als das Böse. Wer hätte das gedacht?
Die anderen drei versammelten sich um den holografischen Projektor in der Mitte des Raumes. Holly hatte das Shuttle auf dem Boden eines Nebenschachts geparkt, nicht weit von der Oberfläche entfernt. Butler musste sich in dem auf Unterirdische zugeschnittenen Gefährt auf den Boden hocken.
»Nun, Artemis, was haben Sie herausgefunden?«, fragte der Leibwächter und suchte nach einem Platz, wo er seine massigen Arme abstützen konnte, ohne jemand Kleineres umzuwerfen.
Artemis aktivierte eine holografische Projektion, die langsam in der Luft rotierte. Sie zeigte einen Querschnitt der Erde, von der Kruste bis zum Kern. Artemis schaltete den Laserpointer ein und begann mit der Einsatzbesprechung.
»Wie Sie sehen, beträgt der Abstand von der Erdoberfläche bis zum äußeren Erdkern ungefähr dreitausend Kilometer.« In dem flüssigen äußeren Erdkern der Projektion strömte und blubberte das heiße Magma. »Bisher ist es der Menschheit nicht gelungen, weiter als fünfzehn Kilometer durch die Erdkruste zu bohren. Um tiefer zu gelangen, müssten atomare Sprengköpfe oder riesige Mengen Dynamit eingesetzt werden. Eine Explosion dieser Größenordnung könnte gewaltige Verschiebungen der Kontinentalplatten auslösen, was überall auf dem Globus zu Erdbeben und Flutwellen führen würde.«
Mulch war, wie immer, am Kauen. Niemand wusste, was, da er den Vorratsschrank bereits vor über einer Stunde leer gefuttert hatte. Aber so genau wollte es auch niemand wissen.
»Das klingt nicht gut.«
»Nein«, bestätigte Artemis. »Deshalb wurde der Versuch einer von flüssigem Eisen umschlossenen Sonde bisher auch nie in der Praxis erprobt. Die Idee stammt ursprünglich von einem Neuseeländer, Professor David Stevenson. Im Grunde ist sie brillant, aber nur schwer umzusetzen. Man gibt eine speziell verstärkte Sonde in hunderttausend Tonnen flüssiges Eisen. Das Eisen sickert durch den Riss, der durch die Explosion entsteht, und verschließt ihn sogar hinter sich. Innerhalb einer Woche erreicht die Sonde den Erdkern. Das Eisen wird vom Magma aufgenommen, und die Sonde löst sich nach und nach auf. Der ganze Prozess ist sogar umweltverträglich.«
Die Projektion ergänzte Artemis' Darlegungen mit Bildern.
»Wie kommt es, dass das Eisen nicht wieder entschmilzt?«, fragte Mulch.
Artemis' lange, schmale Augenbraue wanderte in die Höhe. » Entschmilzt? Die pure Masse verhindert, dass das Eisen fest wird.«
Holly stand auf, trat in die Projektion hinein und studierte die Eisenschicht. »Foaly müsste das alles wissen. So eine große Sache könnten die Menschen nicht vor ihm geheim halten.«
»In der Tat«, sagte Artemis und öffnete eine weitere holografische Projektion. »Ich habe die vorhandenen Daten durchsucht und festgestellt, dass Foaly bereits vor über achtzig Jahren mehrere Computersimulationen durchgeführt hat. Er kam zu dem Schluss, die beste Reaktion auf die Bedrohung läge darin, einfach falsche Informationen an die Sonde zu
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