Die Rache
Es gibt einen Onkel, aber der sitzt in Wandsworth im Gefängnis und wird erst in zehn Jahren wieder als Babysitter zur Verfügung stehen. Auf Seiten von Carol Scott gibt es eine GroÃmutter, aber die lebt in einer psychiatrischen Anstalt, ansonsten keine Tanten und Onkel.«
»Mist«, sagte Ross.
Lindsay zuckte mit den Schultern.
»Ein gesunder Junge mit einer herzzerreiÃenden Geschichte und einer süÃen kleinen Schwester. Bei der Adoption wird man sich um sie reiÃen. Ich weiÃ, es ist traurig, aber auf lange Sicht gesehen ist es wohl besser, wenn sie nicht von solchem Bikerabschaum groÃgezogen werden.«
Ross nickte. »Aber ich dachte eigentlich mehr an heute Nacht. Dante ist der einzige Zeuge. Der Commander wird seinen Tod wollen. Wir können einen Achtjährigen nicht im Polizeirevier wohnen lassen, also müssen wir irgendeinen sicheren Ort für ihn finden.«
»Könnten Sie das nicht übernehmen?«, fragte Lindsay. »Vielleicht könnten Sie ihn für ein paar Tage unter Ihre Fittiche nehmen, bis wir ein geeignetes Heim gefunden haben. Wir suchen Ihnen ein schönes Hotelzimmer.«
»Klingt vernünftig«, fand Ross. »Ich komme aus London, also brauche ich sowieso ein Hotel. Allerdings sollte es mindestens eine Fahrstunde von Salcombe entfernt sein. AuÃerdem benötige ich etwas Geld zum Einkaufen. Er hat nichts auÃer den Sachen, die er gerade trägt.«
Jedes Mal, wenn Dante aufwachte, hoffte er, dass alles nur ein Traum gewesen war. Er wollte wieder in seinem eigenen Bett liegen, Jordans Teenagergeruch
schnuppern und ihrer beiden Sachen auf dem Boden herumliegen sehen. Doch auch an diesem dritten Morgen erwachte er in einem riesigen Bett im Bristol Park Hotel, nachdem er in der Nacht nur mithilfe von Medikamenten geschlafen hatte.
Nichts konnte den Verlust seiner Familie wiedergutmachen, aber das schicke Hotel bot wenigstens ein paar Ablenkungen: Zimmerservice, Minibar, Filme auf Bestellung und das Beste â ein Swimmingpool am Ende des Flurs.
Dantes Familie war nicht reich gewesen. Er hatte noch nie in einem Hotel gewohnt und immer nur die abgetragenen Sachen von Jordan angezogen. Es freute ihn, jeden Morgen Klebeetiketten und Schilder von neuen Boxershorts und Socken zu entfernen. Die Polizei von Devon hatte auÃerdem genügend Geld für einen neuen Adidas-Trainingsanzug, zwei gute Jeans, ein paar warme Pullover, einen Camouflage-Mantel und ein Paar blaue Skaterschuhe lockergemacht, die so ziemlich das coolste waren, was er je an den FüÃen gehabt hatte.
Ross schlief bei stets offener Tür im Nebenzimmer. Dante ging hinüber und sah, dass auf dem Fernseher GMTV fast ohne Ton lief. Ross selbst war im Bad und rasierte sich.
»Guten Morgen«, begrüÃte er Dante, als er ihn im Spiegel erblickte. »Hast du gut geschlafen?«
Dante lächelte ein wenig.
»Diese Pillen sind so, wie wenn man auf einen magischen
Knopf drückt. Man nimmt eine und â PENG! â schläft man tief und fest.«
»Wahrscheinlich sollte ich die Dosis verringern. Du fühlst dich nicht erschöpft? Keine Kopfschmerzen?«
»Nichts«, verneinte Dante und warf einen Blick auf RossⲠLaptop auf dem Schreibtisch. »Sagen sie etwas über uns in den Nachrichten?«
Ross wischte sich das Gesicht an einem Handtuch ab und kam in Boxershorts und Hemd ins Zimmer.
»Ich bin zwar erst seit zehn Minuten wach, aber den Journalisten scheint die Luft auszugehen.«
Dante war enttäuscht. Schon nach drei Tagen war die Geschichte aus den Nachrichten verschwunden, obwohl sie für ihn das Wichtigste war, was je geschehen würde, und wenn er hundert Jahre alt werden sollte.
»Du wirkst heute Morgen recht ausgeglichen«, fand Ross. »Du weiÃt ja, dass du deine Gefühle nicht vor mir zu verstecken brauchst, nicht wahr? Ich bin hier, um dir zu helfen.«
»Ich weië, antwortete Dante, lieà sich auf Rossâ² ungemachtes Bett fallen und starrte die Stuckrosette an der Decke an. »Ich werde immer noch ganz traurig, wenn ich zu sehr an alles denke.«
»Hast du das Gefühl, dass es trotzdem irgendwie weitergeht?«, fragte Ross.
Dante schüttelte den Kopf. »Es ist komisch, weil alles so anders ist. Am Montag habe ich dich noch gar nicht gekannt, und jetzt scheinst du mein einziger Freund auf der Welt zu sein.«
Ross fühlte sich geschmeichelt und musste
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