Die Rache
Internat. Dante war erleichtert, denn es sah nicht danach aus, als hätten ihn die Bandits in die Finger bekommen. Als hinter ihm eine Tür klickte, fuhr er herum.
»Hallo«, sagte ein Mädchen vorsichtig und spähte aus dem Nebenzimmer herein.
Sie war ebenso groà wie Dante und hatte auch eine ähnliche Figur, aber langes blondes Haar, und wären da nicht die beiden Veilchen gewesen, hätte man sie durchaus als hübsch bezeichnen können. Das Mädchen trug Stiefel, ein oranges T-Shirt und Combathosen, und Dante war ziemlich verlegen, weil er nichts als die Riesenwindel trug.
»Hi«, sagte Dante. Er überlegte, ob er wieder ins Bett springen und sich unter der Decke verstecken sollte, aber stattdessen blieb er wie angewurzelt stehen.
»Ãh, bist du ⦠ich meine ⦠bist du auch gerade erst hier aufgewacht?«
Die Augenbrauen des Mädchens schossen in die Höhe.
»Genau«, nickte sie. »Im Gang drauÃen ist niemand, aber ich habe gehört, wie du nach Ross gerufen hast.«
»Was ist das Letzte, woran du dich erinnern kannst?«, fragte Dante.
»Ich war in einem Kinderheim, Nebraska House. Am Abend hatte ich einen Termin mit meiner Beraterin, aber ich habe Ewigkeiten in ihrem Büro gewartet. Und dann hat jemand angerufen und gesagt, dass sie wegen
irgendeines Notfalls nach Devon musste und dass wir uns stattdessen morgen sehen würden.«
»Devon«, überlegte Dante und fragte neugierig: »HeiÃt deine Beraterin vielleicht Jennifer?«
Das Mädchen nickte. »Ja. Jennifer Mitchum.«
»Die kenne ich«, erklärte Dante entrüstet. »Läuft die etwa herum und entführt überall Kinder?«
»Aber hier scheint es doch ganz okay zu sein«, fand das Mädchen. »Ich meine, da drauÃen sind jede Menge Kinder und ein Tennisplatz. Ãbrigens, ich heiÃe Lauren. Lauren Onions.«
Dante zögerte einen Augenblick, entschied sich dann aber, seinen richtigen Namen zu sagen.
»Ich bin Dante«, sagte er. »Sieht dein Zimmer auch so aus wie das hier?«
Lauren hielt die Tür zum Nebenzimmer auf, damit Dante einen Blick hineinwerfen konnte.
»Alles identisch, bis auf die Tatsache, dass ich keine groÃe Windel anhatte.«
Dante blickte verlegen drein.
»Ich hab keine Ahnung, warum sie mir das Ding angezogen haben«, log er. »Was meinst du, was sollen wir tun? Irgendwo muss es hier doch Erwachsene geben.«
SchlieÃlich zog Dante die Kleider an, die für ihn bereitlagen, und traf Lauren vor seinem Zimmer wieder. Sie befanden sich am Ende eines langen, mit Teppichboden ausgelegten Ganges, von dem zu beiden Seiten Türen abgingen. Einige davon standen offen, und als
sie daran vorbeikamen, erhaschten sie einen Blick auf die unterschiedlichsten Abstufungen von Unordnung.
»Sieht nach Zimmern von Teenagern aus, wenn man nach der GröÃe der Kleidung geht«, stellte Lauren fest. Sie sah auf eine Uhr auf einem Nachttisch. »Viertel vor zehn, ich nehme an, sie haben Unterricht.«
»Was ist eigentlich mit deinen Augen passiert?«, fragte Dante beim Weitergehen.
»Mein idiotischer Vater«, erklärte Lauren zögernd. »Er ist mit miesester Laune nach Hause gekommen. Ich habe gesagt, ich bräuchte etwas Geld zum Einkaufen, und da ist er ausgerastet und hat mir ins Gesicht geschlagen.«
»Oh Mann«, sagte Dante.
»Aber das ist nichts im Vergleich dazu, wie es am Anfang ausgesehen hat«, meinte Lauren. »Am nächsten Tag konnte ich auf dem Schulweg kaum was sehen. Mein Lehrer hat es gemeldet, und so bin ich in Nebraska House gelandet. Eigentlich hätte mein Halbbruder James auch dort sein sollen, aber niemand konnte ihn finden â¦Â«
»Vielleicht ist er hier«, vermutete Dante.
»Stimmt, vielleicht hast du recht«, lächelte Lauren und kam sich dumm vor, dass sie nicht selbst daran gedacht hatte. »Er ist ein ziemlicher Idiot, aber irgendwie passen wir trotzdem immer aufeinander auf.«
Als sie den Aufzug und die Treppen in der Mitte des Gebäudes erreichten, kam ein älteres Mädchen aus ihrem Zimmer gelaufen. Sie hielt eine riesige Kunstmappe
und einen Stapel Bücher über Picasso im Arm. Ihre Uniform ähnelte der von Dante und Lauren, aber das Mädchen sah aus wie fünfzehn und ihr dunkelblaues T-Shirt war voller Farbe.
»Hallo«, sagte Lauren höflich. »Kannst du uns bitte helfen? Wir
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