Die Rache der Engel
die man hier und dort einfließen lassen musste, oder wenn man der Sprache mächtig war, mit der die Schöpfung beschrieben wurde. Allerdings wirkten die Engel, die Dee besuchten, sehr aufgeregt, als sie ihm die Bauanleitung für die Tafel anvertrauten. Aus irgendeinem Grund war es für sie dringend, dass Dee endlich diese Geheimsprache lernte, diese ›Kabbala‹, mit deren Hilfe er Gottes Werk verändern könnte. Das war wohl so, als würde man einem elfjährigen Schulkind Genetik beibringen wollen. Sie scheiterten. Dann drohten die Engel Dee damit, dass es zu schrecklichen Klimaänderungen kommen würde, zu nie gekannten Katastrophen, wenn er nicht lernte, die Tafel und die Sprache einzusetzen, die die Tafel aktivierte… Aber er starb, ohne das zu erreichen.«
» Was ist mit den Katastrophen?«
» Die gab es, Mrs Faber«, seufzte Dujok. » Die gab es.«
» Wirklich?«
» Wenige Jahre nach Dees Tod, etwa gegen 1650 , erlebte die Natur in Europa eine der schlimmsten Phasen der letzten neuntausend Jahre. Der Temperaturabfall war so gewaltig, dass komplette Ernten verloren gingen. Tausende Familien starben vor Hunger, Krankheiten und Kälte. Heute wissen wir, warum. An allem war die Sonne schuld«, erklärte Dujok weiter. » Die magnetische Aktivität des Fixsterns sank auf einen historischen Tiefststand. In den Astronomiebüchern wird dieses Phänomen mit dem Begriff Maunder-Minimum beschrieben, dessen furchtbare Auswirkungen noch bis in die Anfänge des 18 . Jahrhunderts reichten. Ich denke, die Engel wollten Dee vor diesem Ereignis warnen, aber er war nicht imstande, es richtig zu interpretieren.«
» Und Sie? Denken Sie, Sie machen es besser als er?«
» Nun…«, antwortete der Armenier lächelnd. » Wenn diese Geschöpfe wieder über die Steine mit uns in Verbindung treten würden, so bin ich mir sicher, dass wir es tatsächlich viel besser machen würden. Anders als zu Dees oder zu Moses’ Zeiten verfügt unsere Zivilisation inzwischen über eine wissenschaftliche Sprache und wir könnten die Warnhinweise genauer interpretieren. Deshalb müssen diese Steine in unserer Obhut sein und dürfen nicht in die Hände von Menschen gelangen, die mit ihnen nur spekulieren und die Verbindung mit den Engeln für Gott weiß was für dunkle Ziele ausnutzen würden.«
» Dann machen Sie das Ganze nicht wegen Ihres Glaubens und auch nicht aus Machtstreben?«
» Wir nicht, Mrs Faber. Uns geht es nur um das Überleben. Wir haben gelernt, dass die Engel nur mit Hilfe der Tafel und der Adamanten sprechen, wenn sie uns vor etwas sehr Schlimmem warnen müssen. Dieser Moment stellt da keine Ausnahme dar. Davon bin ich überzeugt.«
69
Als der gepanzerte Cadillac des amerikanischen Präsidenten auf den Parkplatz des Weißen Hauses fuhr, brachte gerade ein wunderbarer silbriger Vollmond die wichtigsten Gebäude auf der Mall zum Schimmern. Der Schatten des zum Gedenken an George Washington errichteten Obelisken wies wie eine spitze Lanze in Richtung der Gärten des Amtssitzes– für Castle ein schlechtes Omen. In dieser Stimmung betrat er die Teppiche im Oval Office und überlegte, was er unternehmen solle, wenn Owens Männer seinen Beratern in Spanien zuvorkämen und es ihnen gelänge, des Steines habhaft zu werden, der für die Veränderungen verantwortlich war, die die NRO entdeckt hatte. War auf die Worte des NSA -Direktors Verlass? Mit wem sollte er seine Zweifel besprechen, schließlich hatte er ja geschworen, die Informationen über das Elias-Projekt nicht zu verwenden?
Noch nie hatte er sich so einsam gefühlt.
Castle war sich sicher, dass weder der Vizepräsident noch ein anderes Mitglied seines Teams verstehen würde, dass er auch nur eine Minute für etwas vergeudete, was man von außen betrachtet als die Befriedigung einer persönlichen Neugierde fehlinterpretieren konnte. Aber darum ging es nicht.
›Zumindest gibt es Elias wirklich‹, sagte er sich. Und dann überwältigte ihn mit unendlicher Wehmut der nächste Gedanke: ›Dad hatte recht.‹
Fast hätte Castle das Abendessen vergessen, das damals auf den Empfang der Hopi-Indianer im Kapitol von Santa Fe folgte. Merkwürdig, wie das Gedächtnis funktioniert. Ein Ton, ein Geruch oder ein Geschmack konnten ihn in Zeiten zurückversetzen, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Diesmal war ein Wort der Auslöser. Ein Name, um genau zu sein: Chester Arthur. Zuletzt waren es die Hopi-Indianer gewesen, die über ihn geredet hatten. Castle hatte zwar
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