Die Rache der Engel
Wendekreises gewaltige Polarlichter sehen. Niemals zuvor hatte das Magnetfeld der Erde wegen einer energetischen Strahlung eine derartige Abweichung gezeigt. Jetzt wissen wir, dass John Dee zum Zeitpunkt der Ereignisse in seiner Privatkapelle in Mortlake gebetet hat. Durch ein Geräusch gestört, ging er zum Fenster. Vielleicht war es irgendein Knistern der Dämmerung. Wir werden es nie erfahren. Tatsache ist, dass Dee verblüfft eine Art kindlichen Engel mit schimmernder Haut erkennen konnte, der drei Meter vor ihm über dem Boden schwebte. Dee öffnete das Fenster, berührte ihn mit einer Fingerkuppe und der Engel überreichte ihm Steine, die der Magier von nun an bei seinen Anrufungen einsetzte. Dee war fünfundfünfzig Jahre alt. Für damalige Verhältnisse war er ein Greis. Er hatte nichts für Phantasien übrig. Doch in der Tat, dank eines Mediums, das er danach beschäftigte, und mithilfe der Steine stellte er eine Verbindung her, was seit wenigstens viertausend Jahren niemandem gelungen war. Das Entscheidende an der Sache ist«– Daniel räusperte sich, schluckte und stellte seine Tasse ab–, » dass wir uns kurz vor einer Wiederholung genau dieser kosmischen Situation befinden. Ein neuer Sonnensturm steht bevor… Und du besitzt die Gabe, die Steine zu aktivieren. Was wollen wir mehr?«
Ich hätte am liebsten losgeheult. Ihm ins Gesicht geschrien, dass ich nichts für seine Experimente übrig hatte. Dass ich die Schnauze schon voll hatte, als ich ihnen in London als Versuchskaninchen gedient hatte. Und dass längst alles aus und vorbei war. Aber ich konnte mich beherrschen. Wenn Daniel, den ich bis dahin nur für einen harmlosen Intellektuellen gehalten hatte, in der Lage gewesen war, die ganze Sache auszuhecken, war es vielleicht klüger, kein Öl ins Feuer zu gießen.
» Aber ich begreife immer noch nicht«, sagte ich schließlich, meine Wut unterdrückend, » warum ihr dermaßen davon besessen seid, euch mit den Engeln in Verbindung zu setzen. Genauso wie diese Leute«, merkte ich noch mit einer Geste zu Artemi Dujok an, der unserem Gespräch ohne mit der Wimper zu zucken folgte.
» Dir fehlt noch eine Information über uns.«
» Information? Was denn für eine Information?«
» Darling, die Yeziden und meine Familie, wir gehören einem alten Engelsgeschlecht an. Hast du dir das noch nicht denken können?«
» Na, hör mal!«
Ich hätte schwören können, dass Daniel mein Erstaunen mit Vergnügen auskostete. Er strich mit beiden Händen über seinen Vollbart, und während er seinen massigen Körper zu mir beugte, suchte er mit seinen blauen Augen meinen Blick. Niemals zuvor war Daniel mir so nahe gekommen, doch eigentlich genügte das nicht, um die große Verwirrung zu erklären, die ich bei seinem Blick verspürte.
» Wir kommen aus einem Stamm, der in Ungnade gefallen ist. Wir wollen nur die Verbindung zu unseren Ursprüngen wieder aufnehmen und aus dieser Welt gehen.« Diese Worte klangen feierlich, ohne einen Hauch von Täuschung oder Doppeldeutigkeit. Daniel sprach sehr ernst weiter: » Meine Familie wurde vor tausenden Jahren in dieser Welt gefangen. So wie es im Henochbuch steht, vermischten wir uns mit den Menschen und haben mit euch zusammengelebt. Dennoch, trotz der Fülle der Generationen, die seit jener Zeit vor der Sintflut vergangen ist, haben wir niemals das Gespür dafür verloren, wer wir sind und woher wir kommen.«
Daniel atmete tief durch, ehe er sein Anliegen weiter erklärte:
» Also, das, was du als Obsession bezeichnest, stellt für uns ein Projekt dar. Eine uralte Lebenssehnsucht.«
Ich gab keine Antwort. Mir fehlte der Mut.
Ellen äußerte sich auch nicht.
» Wie ihr euch inzwischen denken könnt«, erklärte Daniel weiter, » war Dee auch einer von uns. Vielleicht war er derjenige, den unsere Sehnsucht, nach Hause zu kommen, am weitesten führte. Seit seinem Tod 1608 sind wir in der Richtung, die er uns aufgewiesen hat, nicht viel weiter gekommen.«
» Das ist doch wohl alles nur ein Scherz…«, empörte sich die Amerikanerin, die mindestens so fassungslos war wie ich.
» Nein, junge Frau. Fragen Sie die Yeziden. Schon vor Jahren haben wir herausgefunden, dass auch sie Nachfahren der Engel sind, die die Erde vor zehntausend Jahren bevölkerten. So wie unsere Vorfahren überlebten sie die Sintflut, aber anders als unser Clan haben sie es besser verstanden, ihre Ursprünge zu beschützen. Es ist ein wahrer Glückstreffer gewesen, als wir erfuhren, dass sie
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