Die Rache der Engel

würde uns jemand belauschen. » Dee war der persönliche Magier und Astrologe von Königin Elisabeth I. von England. Er galt als der berühmteste Spezialist für okkulte Wissenschaften seiner Zeit. Er lag in der Tat mit seinem Zeitgenossen Nostradamus im Wettstreit um den größeren Ruhm. Dee besaß die gleiche Gabe wie du.«
    » Willst du mir jetzt schon wieder etwas von Magie erzählen?«, maulte ich. » Ich dachte, wir…«
    Martin sah mich sehr ernst aus den Augenwinkeln an.
    » Ich muss das machen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt.«
    » Meinetwegen«, seufzte ich.
    Das einzige Thema, bei dem Martin und ich zuweilen in Streit gerieten, war seine Obsession für den Okkultismus. Er war mit einer Leidenschaft dabei, die ich absolut nicht teilte. Zu der Zeit hatte ich mein Buch über die esoterischen Zeichen des Jakobswegs noch nicht geschrieben, und alles, was nach Übernatürlichem auch nur roch, bereitete mir Angst. Wegen mehrerer unangenehmer Erfahrungen in meiner Kindheit wollte ich nicht akzeptieren, dass es Phänomene gibt, die sich den Gesetzen der Physik entziehen. Allein der Gedanke verursachte mir Unbehagen. Es war die Zeit, in der ich meinte, meine Gabe begraben zu haben. Ich wollte solche Dinge lieber abergläubischen und unwissenden Menschen überlassen. Ich vermute, das war zum Teil meine natürliche Reaktion auf das, was ich seit Jahren zu Hause zu hören bekam. Aber Martin, dieser Mann mit seiner wissenschaftlichen Denkweise, mit einem Doktortitel aus Harvard, ließ Hellsehen, Alchimie, Astrologie und Mediumismus als Dogmen gelten. Er behauptete, dieses Wissen stelle die Grundlage für die » Wissenschaft vor der Wissenschaft« dar. Er sagte, die Alchimisten beispielsweise hätten die Zusammensetzung des Atoms lange vor unseren Atomphysikern erforscht und ihre Entdeckungen hinter Metaphern und Wortspielen versteckt, die sicherstellen sollten, dass niemand ohne die entsprechende Bildung Zugang dazu fände. Ich weigerte mich, ihm bei diesen Überlegungen zu folgen.
    » Ich bitte dich, Julia, hör mir doch nur einmal zu«, sagte er und packte mich mitten auf der Straße an den Schultern. Das war das erste Mal, dass ich ihn so ungeduldig erlebte. » Nur ein einziges Mal.«
    » In Ordnung.«
    » Bevor wir in dieses Haus hineingehen, musst du ein paar Dinge über John Dee wissen. Dieser Mann war im 16 . Jahrhundert ein bedeutender Mathematiker, Kartograf und Philosoph. Und, wie du, war er als guter Katholik gegenüber übernatürlichen Dingen skeptisch. Er übersetzte Euklid ins Englische. Er war der Erste, der für die Marine der Königin unbezahlbare Dienste leistete, indem er die Geometrie auf die Schifffahrt anwandte. Er hat auch den Begriff vom ›British Empire‹ geprägt.«
    » Aber warum ist dieser Hexer für dich so wichtig, wenn er schon so lange tot ist, Martin?«
    » Es gibt etwas bei John Dee, was mich immer fasziniert hat«, sagte er und wich meiner Frage aus. » John Dee hat ein System entwickelt, um mit den Engeln zu kommunizieren, das nach wie vor ein Geheimnis darstellt.«
    Ich war sprachlos vor Staunen. Was wollte dieser Mann, der in wenigen Stunden mein Ehemann werden sollte, mir damit sagen?
    » Julia, du musst daran glauben. Oder akzeptiere es zumindest als eine Möglichkeit«, bat er mich. »1581 ist John Dee ein Engel aus Fleisch und Blut erschienen, ein Wesen, das niemandem auffallen würde, wenn es jetzt hier über diese Straße ginge. Der Engel erklärte ihm, wie er mit seinesgleichen von Angesicht zu Angesicht kommunizieren könne. Von dem Tag an wurde aus diesem Wissenschaftler ein großartiger Anrufer der Engel und er erfuhr von ihnen wunderbare Dinge. Dinge, die die Wissenschaft und die Geschichte verändert und später auch die technische Revolution inspiriert haben.«
    Martins Augen funkelten aufgeregt, als er mir davon erzählte. Er war nicht zu bremsen.
    » Aber etwas weißt du noch nicht, weil es eine Angelegenheit ist, die meine Familie nur ihren neuen Mitgliedern anvertraut: Nach dem Tod von John Dee hat meine Familie seine Bücher und Wahrsagungen geerbt, auch wenn wir viel von seiner Fähigkeit, diese Geschöpfe anzurufen, verloren haben.«
    » Deine Familie ruft Engel an?«, fragte ich noch entsetzter als zuvor. » Das meinst du doch wohl nicht im Ernst, oder?«
    » Chérie, du wirst gleich diejenigen kennenlernen, die dabei besonders weit gekommen sind. Und dann wirst du verstehen, warum ich möchte, dass du sie triffst. Ich bitte dich nur um ein wenig Geduld…