Die Rache der Engel
Martin…«
Noch nie hatte ich meinen Verlobten so aufgeregt erlebt wie an diesem Morgen. Es war der 30 . Juni 2005 , und wir waren so rechtzeitig in unserem Hotel im Londoner West End angekommen, dass wir noch ein wenig ausruhen konnten. Die Trauung sollte in einer winzigen normannischen Kirche in der Grafschaft Wiltshire stattfinden, einem wunderschönen Ort. Es sollte eine schlichte Feier werden, mit nur wenigen Gästen und ohne große Formalitäten. Ein Pfarrer, der mit Martins Familie befreundet war, sollte den Gottesdienst zelebrieren. Wir hatten zuvor mit ihm telefoniert und ihm von unserem Vorhaben erzählt.
Ich liebte Martin wahnsinnig.
Er hatte mich einige Wochen davor überzeugt, alles stehen und liegen zu lassen und ihm zu folgen: meine Prüfungen für eine Stelle als Restauratorin bei der Xunta von Galicien, meine Eltern, meine Freundinnen, mein kleines Steinhaus an der Costa da Morte und sogar meine Sammlung keltischer Geschichten. Alles! Ich war unendlich glücklich, mich jemandem so hingeben zu können!
Mr Allen, es mag Ihnen idiotisch vorkommen, aber kurz bevor ich Martin kennenlernte, hatte ich irgendwo gelesen, dass es einem helfen kann, das Universum in einem Brief um das zu bitten, was man vom Leben erwartet. Diese Dinge zu Papier zu bringen, zwingt einen seine Gedanken zu sortieren. Ich schrieb meinen Brief an meinem 29 . Geburtstag. Ich wollte einen Liebhaber haben. Einen guten Mann. Einen Gefährten für Abenteuer. Ich schrieb also einen dreiseitigen Text, in dem ich meine Bedingungen auflistete: Ich suchte einen Mann, der meine Freiheit respektiert, einen Mann, der aufrichtig, warmherzig, großzügig, schlicht und magisch zugleich ist; einen Mann mit Ehre im Leib, mit dem ich mich auf den ersten Blick verständigen kann. Schließlich und endlich, einen Menschen mit einem reinen Herzen, der mich allein durch seine Worte zum Schweben bringt. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich die Blätter zusammenfaltete und in ein Sandelholzkistchen steckte, das ich hinter einem Schrank versteckte. Und als ich den Brief bereits völlig vergessen hatte, tauchte Martin in Noia auf. Sie hätten ihn sehen sollen! Wenn man über seine verschlissenen Pilgerkleider hinwegsah, besaß er das eindrucksvollste Lächeln der Welt. Er war so anziehend, so perfekt, dass mir gar nicht auffiel, wie sehr dieser Mann den Vorstellungen in meinem Brief entsprach.
Kurz und gut, mit ihm ging alles ganz schnell, und keine zehn Monate später befanden wir uns auf dem Weg zum Traualtar. Martin kündigte seine Arbeit in den USA , und, ehrlich gesagt, es machte mir überhaupt nichts aus, auch meine Stelle zu kündigen.
Am Tag vor unserer Hochzeit zeigte mir mein Verlobter im Flugzeug von Santiago nach Heathrow Aufnahmen von dem Ort, den er für unsere Trauung ausgesucht hatte. Er hatte alles ohne mich organisiert. Und wie nicht anders zu erwarten, schien mir seine Wahl perfekt: Es war eine Kapelle aus Stein, Geißblatt überwucherte die Mauern und ein einsamer, fast gartenähnlicher Friedhof bildete den Zugang zum Kirchengelände, auf dem das Festessen stattfinden sollte. Selbst der Gasthof, in dem wir unsere Hochzeitsnacht verbringen wollten, zeigte überraschende Ähnlichkeit mit Häusern in Santiago de Compostela. Nichts war dem Zufall überlassen. Martin wollte, dass ich mich, fernab von Galicien, wie zu Hause fühlte.
An dem Nachmittag nahmen wir ein Taxi, um in den Süden von London zu fahren, weil Martin mir etwas Wichtiges zeigen wollte. Als wir die nicht mehr so stark befahrenen Hauptverkehrsadern der Peripherie hinter uns ließen, gab Martin dem Fahrer Anweisung, uns zu einer Adresse in der Mortlake High Street im Stadtteil Richmond upon Thames zu bringen. Wir fuhren durch Stadtviertel mit Iranern, Chinesen und Hindus, doch als wir unser Ziel erreichten– ein modernes, vierstöckiges Backsteinhaus in einer ruhigen Wohngegend–, war ich etwas enttäuscht. Ich hatte mir vorgestellt, Martin würde mich an irgendeinen romantischen Ort zum Abendessen ausführen und wir würden Zukunftspläne schmieden. Aber Martin hatte an dem Nachmittag etwas anderes vor.
» Hast du schon mal etwas von John Dee gehört?«, fragte er mich unvermittelt, als wir aus dem Taxi stiegen.
» Ist das ein Verwandter von dir?«
» Nein, natürlich nicht!« Martin lachte schallend über meine Bemerkung. » Ich dachte, du als gebildete Spanierin müsstest ihn kennen.«
» Also ich…«
» Das macht nichts.« Martin senkte die Stimme, als
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