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Die Rache der Engel

Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Sierra
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vertrieben und in die sterbliche Welt geworfen wurden. Damals hätte Gott unsere ersten Vorfahren vernichten können, aber er verzieh ihnen in extremis. Sie passten sich sofort an ihre neue Umgebung an und vermehrten sich schnell.«
    » Dann fand also der zweite Sündenfall statt, als…«
    » Als deren Nachfahren in der Sintflut umkamen«, führte er meinen Satz zu Ende.
    Ich war fasziniert davon, mit welcher Selbstverständlichkeit er mir die Schöpfungsgeschichte erzählte, als handelte es sich um eine Reportage aus National Geographic. Ich beschloss, mich darauf einzulassen.
    » Mal sehen, ob ich es verstehe, Father Graham. Sie wollen mir damit sagen, dass das Henochbuch aus der Zeit vor der Sintflut stammt?«
    » Nein, nicht ganz. Das, was sein Verfasser berichtet, stammt aus der Zeit vor der Sintflut, Miss. Das heißt, er berichtet Dinge, die zwischen dem ersten und dem zweiten Sündenfall stattgefunden haben. Leider ist das genaue Alter dieses Textes ein absolutes Rätsel. Das Henochbuch nennt zwar nicht Adam und Eva, was überraschend ist, stattdessen erklärt es aber in allen Einzelheiten, warum Gott uns die Große Flut geschickt hat. Und diese Kenntnis stammt von keinem Geringeren als dem Propheten Henoch persönlich.«
    » Henoch…«
    Der Vikar reagierte nicht auf mein bewunderndes Aufstöhnen.
    » Henoch wird in der Bibel mehrfach erwähnt, Miss. Er war ein ungebildeter Hirte, der das große Glück hatte, mit eigenen Augen das Reich des Himmels zu sehen. Sie sollten wissen, dass Henoch einer der wenigen Sterblichen gewesen ist, die Gott in ihrem sterblichen Körper ins Paradies geführt hat. Er wurde durch einen Wirbelsturm in den Himmel entrückt und konnte danach auf die Erde zurückkehren und alles erzählen und davor warnen, wie verärgert der Ewige Vater über die Menschen war.«
    » Und das alles berichtet also das Henochbuch?«, flüsterte ich.
    » Und noch viel mehr. Anscheinend gelang es Henoch, während er im Paradies war, Heilung für unsere gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Leiden zu finden. Deshalb wurde er nach seiner Rückkehr zu einer Art Orakel. Und zu einem Unsterblichen. Wie die Götter der Antike.«
    Ich hörte, wie Martin leise murrte.
    » Sagen Sie, Father Graham«, sprach ich weiter, während ich meinen Verlobten aus dem Augenwinkel beobachtete, » weshalb denken Sie, wünscht Martin bei unserer Hochzeit eine Lesung aus diesem Buch? Geht es um Liebe?«
    Father James Graham durchbohrte mich mit seinen blauen Augen, als wollte er mich vor einer Gefahr warnen.
    » Meine Tochter, die Passage, die Ihr Verlobter für die Zeremonie gewählt hat, befindet sich zu Anfang des Henochbuches. Ach, warum befreien Sie sich nicht von Ihren Zweifeln und sehen es sich selbst an? Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das Liebe ist oder nicht.«
    Der Priester schob den großen Band, der aufgeschlagen vor uns lag, zu mir und forderte mich auf, darin zu blättern. Ich fand ohne Weiteres die genannte Stelle. Sie war mit einem sorgfältig gefalteten blauen Seidenband gekennzeichnet. Eine schöne Initiale zierte den Beginn eines kurzen Textes, der wiederum in zwei kurze Abschnitte untergliedert war. Sie waren in einer gotischen Schrift verfasst, bei der rote und schwarze Buchstaben abwechselten und die mit anregenden Abbildungen illuminiert waren. Ich beugte mich voller Respekt darüber, um den Titel des Abschnitts laut vorzulesen: Der Fall der Engel und Henochs Himmelsreisen. Ich war verblüfft. Zunächst konnte ich keinen Bezug zu unserer Hochzeit erkennen. Doch schon bald änderte ich meine Meinung:
    Und als die Menschenkinder zahlreich geworden waren, da wurden ihnen in jenen Tagen schöne und liebliche Töchter geboren. Und es sahen sie die Engel, die Söhne der Himmel, und sie begehrten ihrer und sprachen untereinander: » Wohlan, wir wollen uns Weiber auswählen aus den Menschenkindern und uns Kinder zeugen.«
    ›Ah, hier geht es also um Liebe‹, dachte ich.
    Dann las ich weiter.
    Da sprach zu ihnen Semjaza, der ihr Oberster war: » Ich fürchte, ihr dürftet vielleicht keinen Gefallen daran finden, dass diese That ausgeführt werde, und ich werde allein für eine große Sünde büßen müssen.«
    Sie aber antworteten ihm alle und sprachen: » Wir wollen alle einen Eid schwören und alle einander durch Verwünschung verpflichten, diesen Plan nicht aufzugeben, vielmehr zur That werden zu lassen.«
    Da schwuren sie alle zusammen und verpflichteten einander dazu durch Verwünschungen. Und es

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