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Die Rache der Engel

Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Sierra
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uns gebracht werden. Wir müssen unbedingt mit ihm sprechen.«
    Martos bedachte Pater Fornés mit einem unendlich traurigen Blick. ›Der arme Dekan‹, dachte er, ›nun hat er endgültig den Verstand verloren.‹

31
    » Liebe Brüder und Schwestern, ich werde diese Trauung mit einer kleinen Geschichte beginnen müssen.«
    Es war zwölf Uhr mittags an diesem herrlichen Junitag, als der Priester unseren Traugottesdienst eröffnete. Der alte Mann schien den Meinungsaustausch mit Martin und mir vergessen zu haben und leitete die Zeremonie ein, die offensichtlich eine ganz besondere Feier werden sollte. Mit raschem Blick erfasste er die wenigen Gäste, die gekommen waren, um uns dabei zu begleiten. Alle passten in die ersten drei Bankreihen, ganz in der Nähe des Altars, nur einen Schritt von den Stühlen entfernt, auf denen Martin und ich in der Mitte der Kapelle saßen. Die Erinnerung an ihre Gesichtszüge, ihre Kleidung und selbst an ihre Mienen sprudelte mit Kraft aus der tiefsten Tiefe meiner Erinnerung.
    » Ihr müsst wissen, ich liebe Geschichten.« Er lächelte uns an. » Vor allem, wenn es alte Geschichten sind. Mithilfe der Geschichte, die ich heute für euch vorbereitet habe, werdet ihr verstehen, warum wir uns an genau diesem Ort zusammengefunden haben. Leider erinnert sich kaum noch jemand daran, dass die ersten Christen, die im 6 . Jahrhundert nach England gelangten, glaubten, nichts Geringeres als die Reste des irdischen Paradieses vor sich erreicht zu haben. Es war Gregor der Große, der diesen Schluss zog, einer der vier großen Kirchenlehrer, römischer Bischof und ein berühmter Weiser. Sein Bestreben, England zu bekehren, entstand eher zufällig. Als er Papst war, spazierte Gregor oft durch Rom. Damals herrschte noch nicht der prunkvolle Pomp, der später für den Vatikan kennzeichnend wurde, und ein Papst konnte unbehelligt in der Menschenmenge unterwegs sein. Als Gregor eines Tages einen der Sklavenmärkte der Stadt besuchte, sah er eine Gruppe Jungen, die gerade versteigert werden sollte. Sie waren alle außerordentlich schön: Epheben mit blauen Augen, hellen Haaren und sanftmütigen Gesten, die die reine Güte auszustrahlen schienen. Neugierig ging der Pontifex zu ihnen und fragte sie nach ihrer Herkunft. ›Wir sind Angeln‹, war ihre Antwort. Aber Gregor verstand ›Engel‹, und dieses Missverständnis– oder war es vielleicht gar keines?– veränderte den Lauf unserer Geschichte. Sobald Gregor ihre Herkunft erfahren hatte, kaufte er sie frei und beschloss, ihr Land zum Christentum zu bekehren. Für diese Mission entsandte er den römischen Benediktiner Augustinus, damit er dort die wahre Religion verkündete, und er erließ die Anordnung, dass dieses Gebiet von nun an als Angelland zu bezeichnen sei. Daraus wurde dann England. Das Land der Engel. Meine lieben Brüder und Schwestern, ich bitte nun unsere beiden Freunde um ihren Beitrag. Sie sind Nachfahren dieser ersten Engländer, die für Engel gehalten wurden.«
    Der Vikar sah über sein Brillengestell hinweg auf die Anwesenden und blickte kurz zu Sheila und Daniel, die nur wenig entfernt zu meiner Linken saßen.
    » Diese beiden Gäste«, stellte er sie vor, » möchten euch etwas über die Familie des Bräutigams anvertrauen. Kommt bitte«, forderte er sie auf. » Kommt bitte zum Altar…«
    Sheila rückte ihren spektakulären, mit gelben Blumen geschmückten Hut zurecht und stand zuerst auf. Sie sah großartig aus. Ihr schwarzes, mit Pailletten besetztes Trägerkleid betonte noch ihre helle Haut, die im Licht, das durch das Dachfenster fiel, zu leuchten schien. Eine Wolke teuren Parfums begleitete ihre wenigen Schritte. Daniel folgte ihr auf der Stelle. Der Riese mit der zerzausten Mähne hatte sich in einen Tweedanzug mit passender Krawatte gezwängt, der ihm einen noch professoraleren Anstrich verlieh als am Vorabend. Zu meiner Überraschung ergriff er als Erster das Wort.
    » Father Graham, werte Freunde«, begann er, ehe er sich räusperte und uns alle, einen nach dem anderen ansah. » Ich fürchte, selbst heutzutage ist es nach wie vor schwierig, einen Engel von einem richtigen Engländer zu unterscheiden.«
    Wir mussten alle über den Scherz lachen.
    » Nein, nein.« Daniel gestikulierte vor seinem glänzenden rosigen Gesicht. » Das ist kein Witz, bitte. Eine der ältesten Traditionen der Familie Faber besteht darin, bei der Trauung eine Passage aus dem Henochbuch zu verlesen, die davon handelt, wie schwierig es einst war,

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