Die Rache der Engel
Der Patriarch sah sie, als er auf einem schwarzen Stein einschlief. Auf einem dieser Adamanten. ›Beth-El‹ bedeutet ›Haus Gottes‹, und seit uralten Zeiten werden mit dem Begriff ›Bätyle‹ auch Meteoritgesteine bezeichnet, die bestimmte Eigenschaften haben.«
» Was ist so ein Stein denn wert?«, fragte Figueiras, während er auf dem Display nach der SMS suchte.
Muñiz staunte über die Unbedarftheit und das fehlende Einfühlungsvermögen seines Freundes.
» Das hängt ganz davon ab.«
» Wovon?«
» Von seinen Eigenschaften, von seinem Alter, von seinem Curriculum… Steine, die schon im Besitz von John Dee gewesen sind, könnten ein Vermögen wert sein. Und wenn sie dir auch noch die Pforten des Himmels öffnen können, tja, dann…«
» Du denkst, dass der Himmel Pforten hat?«
» Ich bin ein gläubiger Mensch. Nicht wie du…«
Aber Antonio Figueiras hörte gar nicht mehr zu. Die eingegangene Nachricht war eine Anweisung seines leitenden Kommissars. Dieser hatte wieder einmal erfolglos versucht ihn telefonisch zu erreichen, deshalb erteilte er diesen Auftrag nun verärgert per SMS . Figueiras sollte eine » ganz besondere« Verstärkung abholen, die gerade am Flughafen Lavacolla landete. Und zwar sofort.
49
Der Deckel des Sarkophags von Juan de Estivadas wies einige Beschädigungen auf. Irgendein rücksichtloser Mensch hatte das Gesicht der Figur mit dem Meißel entstellt, und durch den Sarg zog sich auf der Seite ein schmaler Riss, der nur notdürftig mit Zement ausgebessert war. Artemi Dujok fuhr mit seinen Fingern über die schadhaften Stellen, sagte aber nichts. Er äußerte sich auch nicht darüber, dass zwei der sieben Wappen verschwunden waren, wodurch die gesamte Konstruktion so instabil war, dass sie bei dem geringsten Stoß zusammenzufallen drohte.
» Keine Sorge«, sagte Dujok, als er meine Zweifel beim Blick auf den Zustand des Monuments wahrnahm. » Wir verrücken es nur ein paar Zentimeter. Wir sehen kurz hinein und lassen ansonsten alles in seinem ursprünglichen Zustand.«
» Aber es ist fünfhundert Jahre alt«, flüsterte ich.
» Ich verspreche Ihnen, niemand wird irgendetwas bemerken.«
Wir begaben uns an das Fußende und versuchten die beiden Ecken des Deckels anzuheben. Der erste Versuch schlug fehl. Entweder war die Steinplatte schwerer, als sie aussah, oder, was noch schlimmer war, sie war beim Zementieren mit dem Kasten verbunden worden. Doch beim zweiten Versuch gab die Platte nach. Ein ächzendes Geräusch dröhnte durch das Kirchenschiff und wir konnten in eine schwarze Öffnung sehen.
Der Steinsarg gab einen ätzenden Geruch von sich. Ich lugte als Erste hinein.
Im Sarg war nichts. Er war leer.
» Hier ist nichts.« Meine Enttäuschung schwang in jeder Silbe mit.
» Sind Sie sich sicher?«
Dujok stand jetzt nebem mir. Er zog nun eine Taschenlampe aus der Tasche und leuchtete aufgeregt in den Sarkophag. Doch an dessen Grund schimmerten nur Staub und ein paar Spinnweben. Das Innere des Grabes bot einen noch erbärmlicheren Anblick als sein Äußeres. Die Innenwände zeigten überall Löcher, so als hätten sich Würmer durch den brüchigen und porösen Kalkstein gefressen. Der Boden war von einer mindestens einen Zentimeter dicken, grauen Schmutzschicht bedeckt. Doch zum Glück entdeckte Dujok mit Hilfe seiner Taschenlampe etwas, was uns aufmerken ließ: Anscheinend gab es dort Schleifspuren, und zwar frische. Frische Fingerspuren. Sie begannen rechts und endeten in dem Eck, an dem ich stand.
» Da haben Sie es!«, brummte Dujok zufrieden, während er die Stelle beleuchtete. » Sie müssen sich nur bücken! Es ist genau da!«
Der Armenier hatte recht: Genau unter mir bedeckte Stoff etwas, was sehr wohl mein Adamant sein könnte. Jemand hatte es mit einem goldfarbenen Band verknotet und sorgfältig in einem Spalt versteckt.
Erregt stellte ich mir vor, wie Martin dieses Täschchen präpariert und dann dort hineingesteckt hatte. Ich holte es heraus.
» Machen Sie es auf!«
Ich löste den Knoten so gut es ging. Dann entfernte ich mich zitternd einige Schritte vom Sarkophag, auf der Suche nach einer Stelle, an der ich den Inhalt in einem besseren Licht begutachten konnte. Kurz darauf hatte der Stoff sein Geheimnis gelüftet. Genau wie wir vermutet hatten: Es war mein Adamant. In einen Silberreif eingefasst, damit man ihn als Anhänger an einer Halskette tragen konnte. Ich war kurz davor, mich in einer Welle von Gefühlen und Erinnerungen zu verlieren, die
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