Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
Bewaffnete zögerte.
»Ach, komm schon, Adam«, ein anderer Soldat, der bislang schweigend neben dem Tor gewartet hatte, trat neben ihn, »der Befehl des Königs hat doch bestimmt nicht für die beiden Prinzen, seine eigenen Söhne, gegolten.«
»Nun, ich wüsste eigentlich auch keinen Grund, warum uns unser Vater daran hindern sollte, die Burg zu verlassen.« Richard lachte und klopfte Adam auf die Schulter. »Aber, wie ich schon sagte, es ist gut, wenn sich ein Soldat nicht von einem hohen Rang blenden lässt.«
»Hoheit …« Adam beschloss, sich nicht dem Zorn des Königs auszusetzen, der bestimmt auf ihn herabfahren würde, wenn er ihn ungerechtfertigt weckte. Also verbeugte er sich, schob den Riegel zurück und stemmte zusammen mit dem anderen Soldaten den Torflügel auf.
Nachdem Richard den beiden Männern noch einmal grüßend zugenickt hatte, galoppierten er und sein Bruder davon. Auf der nächsten Anhöhe zügelte er seinen Hengst und blickte zu der Burg zurück. Dunkel und mächtig hob sich das Gebäude vor dem Sternenhimmel ab. Wenn alles so läuft, wie wir es geplant haben, wird die Burg von Bayeux in wenigen Monaten mir und Henry gehören, dachte er.
»Nun komm schon!«, drängte der Bruder, der sein Pferd neben ihm angehalten hatte.
»Ach, wahrscheinlich wird unsere Flucht erst bei Morgengrauen entdeckt. Bis dahin sind es noch ein paar Stunden.«
»Mir wäre es lieber, unser Vorsprung vor unserem Vater wäre viel größer.« Henry seufzte. »Immerhin haben wir gut achtzig Meilen zurückzulegen, bis wir die Grenze des französischen Königreichs erreicht haben und in Sicherheit sind.«
»Gegen ein bisschen Abenteuer habe ich nichts einzuwenden.«
»Falls du das tatsächlich ernst meinst, bist du verrückt.« Henry schüttelte den Kopf.
Als Antwort lachte Richard nur und gab seinem Pferd die Sporen. Ja, vor ihm lag ein großes Abenteuer, und er freute sich darauf, es zu bestehen.
*
Ein Windstoß wehte Adela den Schleier ins Gesicht. Sie versuchte, ihn mit der einen Hand zurückzuhalten, während sie mit der anderen eine Eibischstaude an einem Stab befestigte. Aber es nutzte nichts. Die Aprilböen waren zu kräftig. Beim nächsten Windstoß zog sie ihren Schleier ab und flocht ihr Haar, das die leuchtend rote Farbe von reifen Hagebutten hatte, zu einem Zopf. Dann widmete sie sich wieder dem Eibisch. Jetzt endlich konnte sie ihn festbinden. Die Kräuterbeete am Rande des Küchengartens waren allein ihr Reich. Keinem der Bediensteten vertraute sie die Pflege ihrer Heilpflanzen an.
Adela hatte ein schmales, empfindsames Gesicht, und die Fülle ihres Haars schien für ihren zierlichen Körper fast zu schwer. Doch wenn sie sich nicht – wie jetzt gerade – auf etwas konzentrierte, war ihre Mimik äußerst lebhaft, und ihre grauen Augen konnten durchaus energisch blicken oder wütend funkeln.
Nachdem Adela noch die Erde um ein Beet mit Leinpflänzchen gelockert hatte, stand sie auf. Sie glaubte, einen Hauch von Salz in der Luft zu riechen. Hinter den Hügeln – etwa zwanzig Meilen entfernt – lag das Meer. Sie liebte dieses Stück Land nahe der normannischen Küste ebenso sehr wie den weiten Himmel mit den jagenden Wolken, die sich häufig finster und bedrohlich auftürmten, nur um gleich darauf wieder die Sonne durchscheinen zu lassen.
In dem weiß gekalkten Haus mit dem Strohdach am anderen Ende des Gartens war sie geboren worden. Hier lebte sie nun seit einigen Jahren mit ihrem Ehemann Francis und ihrem Sohn Luce. Adelas Blick wanderte weiter über den Garten, der sanft zu einem Bach abfiel. Jenseits einer Obstbaumwiese und hinter der aus Feldsteinen errichteten Mauer erstreckten sich die Felder des Gutes. Zwischen den Schollen sprossen grüne Weizen- und Gerstenhalme.
Während der letzten Wochen war das Wetter beständig gewesen und hatte das Getreide gut wachsen lassen. Aber ob dies so bleiben würde? Adela hoffte es aus ganzem Herzen. Die vergangenen drei Ernten waren schlecht ausgefallen. Dabei waren die Steuern, die der König seinen Untertanen auferlegte, auch schon bei einer guten Ernte drückend. Sollte es dieses Jahr wieder eine Missernte geben, würden sie und Francis wohl Teile ihres Landes verkaufen müssen. Denn auch das Gut bei Giverny, das Francis geerbt hatte, warf kaum noch etwas ab.
Das Getreide vom letzten Jahr hatte nur bis in die ersten Märzwochen gereicht. Am Morgen war Francis nach Vire gefahren, um ein paar Säcke Weizen und Roggen zu kaufen. Ob er sie wohl zu
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