Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
einem einigermaßen günstigen Preis bekommen wird? Adela wünschte sich plötzlich, Francis wäre bei ihr und sie könnte seine ruhige, zuversichtliche Gegenwart spüren.
Vom Bach her ertönte Luces helle Stimme. Zwischen den erst spärlich belaubten Weiden konnte Adela ihren kleinen Sohn erkennen, der dort mit ein paar Dorfjungen spielte. Sie schüttelte ihre düsteren Gedanken ab. Sie liebte ihren Mann und ihren Jungen. Daran wollte sie sich halten, statt vor sich hinzugrübeln!
Wieder im Haus, überzeugte sich Adela davon, dass in der Küche ein Eintopf auf dem Feuer vor sich hin köchelte und die Köchin einen Brotlaib in den Ofen geschoben hatte. Dann erinnerte sie sich daran, dass Luce dringend einen neuen Kittel benötigte. In dem Zimmer, das ihre Eltern bewohnt hatten, wurden abgelegte Kleidungsstücke aufbewahrt. Sicher würde sie aus einem der Gewänder ein Hemd für ihren Sohn nähen können.
In dem nach Westen hin gelegenen Raum auf der Rückseite des Hauses empfing Adela ein leichter Kräutergeruch. Er hing tief in den dunklen Deckenbalken und den Wänden. Denn noch bis kurz vor ihrem Tod hatte ihre Mutter Aline hier ihre Kräuter getrocknet und aufbewahrt. Von ihr hatte Adela die Gabe der Heilkunst geerbt.
Der schwache Duft nach Zitronenmelisse, Thymian und Rosmarin wich einem intensiven Lavendelgeruch, als Adela den Deckel der schweren, eisenbeschlagenen Truhe aufstemmte. Behutsam zog sie das Leinentuch beiseite, das den Inhalt vor Staub schützte. Darunter kam unter einigen mit Lavendelblüten gefüllten Stoffsäckchen der dunkle Mantel zum Vorschein, den ihre Mutter in ihren letzten Lebensjahren getragen hatte. Im Winter vor vier Jahren war sie an einem Fieber gestorben.
Unwillkürlich musste Adela lächeln, während sie über den rauen Stoff strich. Ihre Eltern hatten eine glückliche Ehe geführt. Dann und wann waren leidenschaftliche Streitereien zwischen ihnen entbrannt, heftig und wild und meist von kurzer Dauer wie Sommergewitter. Doch letztlich hatten die beiden nicht ohne einander leben können. Deshalb hatte es Adela nicht gewundert, dass ihre Mutter ihren Vater nur um wenige Monate überlebt hatte.
Sie legte den Mantel über einen Stuhl und beugte sich wieder über die Truhe. Drei Hemden, die ihrem Vater gehört hatten und noch in gutem Zustand waren, kamen zum Vorschein. Ja, aus einem von ihnen würde sie einen Kittel für Luce nähen können. Unter den Hemden lagen in einem Sack ein paar ausgetretene Stiefel, ein alter Gürtel und eine Sichel, deren Blatt stumpf geworden war und deren Holzgriff erneuert werden musste. Versonnen wog Adela das Werkzeug in der Hand. Ihr Vater war der uneheliche Sohn eines Lords und ein Ritter gewesen. Dennoch war er auch ein guter Bauer gewesen.
Hinter sich hörte Adela trippelnde Schritte auf dem gestampften Lehmboden. Luce lief zu ihr. »Na, bist du zu müde zum Spielen?«, neckte sie ihn und strubbelte durch sein kastanienbraunes, wild zerzaustes Haar. Luce schüttelte empört den Kopf. »Nein, die anderen Jungen mussten zum Essen nach Hause.«
Er schmiegte sich an sie, was er in der letzten Zeit nur noch selten tat. Denn mit seinen sieben Jahren hielt er sich für zu alt für solche Zärtlichkeiten. Adela legte den Arm um ihn, schloss die Augen und genoss den Augenblick. Sein drahtiger Körper roch nach Gras und Staub. Sie war noch sehr jung gewesen, fast noch ein Kind, als sie und Francis sich heftig ineinander verliebt und bald darauf geheiratet hatten. Luces Geburt war schwer gewesen. Nach ihm hatte sie zwei Kinder während der Schwangerschaft verloren. In der letzten Zeit fragte sie sich häufig, ob Luce wohl ihr einziges Kind bleiben würde.
»Mutter, sind das Hemden von Großvater Ethan?« Wie nicht anders zu erwarten, befreite sich Luce schnell wieder aus ihrem Griff.
»Ja.« Adela lächelte ihn an.
Luces Interesse war geweckt. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte in die Truhe. »Da drin liegt so ein seltsames Ding …«, stellte er fest.
Nun sah auch Adela auf dem Boden der Truhe ein zusammengerolltes Stück Stoff liegen. Sie holte es heraus, löste die Fäden, die den Stoff zusammenhielten, und wickelte ihn auseinander. Das bunte Stickbild eines Blumenstraußes kam zum Vorschein. Die Stiche waren sehr unordentlich. Mal waren sie groß, als hätte die Stickerin sie mit höchster Ungeduld ausgeführt, dann wieder waren sie klein ausgefallen und tief in den Stoff eingegraben, als wäre zornig an dem Garn gerissen worden.
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