Die Rache der Horden
Rückkehr aus Roum zu überbringen, überlebt hatte. Nach dem Akt lockte ihn der anhaltende Beifall wieder vor den Vorhang.
»Dieser Junge könnte eines Tages ein neuer Edwin Booth werden«, erklärte Kathleen beifällig. »Haben Sie ihn je auf der Bühne erlebt?«
»Im Astor in New York«, antwortete Emil, »obwohl ich seinen Vater in der Rolle des Königs Lear besser fand.«
»Papa liebte die Booths«, sagte Kathleen, die Stimme voller Nostalgie.
»Vom Jüngsten habe ich nicht viel gehalten«, wandte Emil ein. »Zu stark von sich eingenommen, ein bisschen zu viel Irrsinn in den Augen.«
»Vielleicht muss man als Schauspieler ein bisschen verrückt sein«, sagte Andrew leise.
Eine Gauklertruppe trat jetzt auf. Das Publikum bejubelte sie zunächst, buhte aber lautstark und mit erkennbarem Genuss, als die Darbietung in der einfachsten Routine stecken blieb. Als sich einer der Gaukler einen Fehlwurf leistete und stattdessen seinen Partner mit einem Knüppel am Kopf traf und zu Boden schickte, brach das Publikum in wilde Jubelrufe aus, und der geknickte Mann zog sich unter einem Hagel von Zwischenrufen zurück.
Mehrere patriotische Tableaus standen nun auf dem Programm, angefangen mit der Unterzeichnung der Verfassung von Rus. Darauf folgte der Einschlag der Gleisnägel für die Vervollständigung der MFL&S-Bahnlinie nach Roum, lärmend bejubelt von den Eisenbahnarbeitern. Die nächste Szene war der Tod des verräterischen Senators Mikhail, dessen Bühnenauftritt von Flüchen und Zischen der Zuschauer begleitet wurde. Mikhail wurde als feiger Schleimer porträtiert, wobei eine Merkistandarte hinter ihm seine Loyalität verriet, während ihn die Rus-Soldaten mit übertriebenen Gesten der Verachtung bedachten. Dieses Bühnentableau durchbrach die traditionelle starre Form durch Abfeuern eines einzelnen Schusses. Mikhail fiel um, und das Publikum jubelte. Als abschließende Präsentation folgte der Triumph der Rus über die Tugaren und baute auf einer ausgesprochen populären Abbildung in Gates* Illustriertem Wochenblatt auf: Soldaten blickten in heroischer Haltung zum Horizont, während sich auf dem Rest der Bühne Tugarenleichen häuften. Zur Darbietung gehörte sogar eine Windmaschine in einem Seitenflügel, wo ein von Handkurbel getriebener Propeller kreiste, damit die Flaggen flatterten. Das Publikum stimmte spontan den »Battle Cry of Freedom« in der Rus-Sprache an; den Höhepunkt bildete lautstarker Jubel, als die Tableau-Darsteller ihre starren Posen aufgaben, um den Beifall entgegenzunehmen.
Im Rahmen des nächsten Programmpunktes stimmte ein Rus-Chor etliche traditionelle Liebeslieder an, und das ganze Publikum sang begeistert mit. Anschließend trug der Chor Lieder vor, die die Yankees auf diesen Planeten gebracht hatten, und erneut sang das Publikum mit. Etliche Personen weinten offen, besonders als »All Quiet Along the Potomac«, Alles Ruhig am Potomac, erklang.
Einen Augenblick lang riss das Lied Andrews Gedanken in die Vergangenheit zurück. Es war im Winter wieder populär geworden, eine seltsam ironische Übernahme aus der alten Welt. Diesem Lied schloss sich nun »When This Cruel War Is Over« an, Wenn dieser grausame Krieg überstanden ist.
Die beiden Lieder zeigten aufs Neue die altbekannte Wirkung, und viele Veteranen rings um Andrew, darunter auch Emil und Kai, wischten sich die Tränen weg, derer sie sich nicht schämten.
Andrew saß im Schatten der Präsidentenloge, seine Hand in der Kathleens. Sie verdammte solche Balladen von jeher als süßlichen Gefühlskitsch, aber jetzt spürte er, wie ihre Hand fest die seine drückte.
Tränen der Trauer und Einsamkeit, Solch eitle Hoffnungen und Sorgen, Und doch mit dem Gebet im Herzen: Wenn dieser grausame Krieg überstanden ist, Wir uns erneut begegnen mögen.
Andrew wollte Kathleen lieber nicht anblicken, aber er konnte nicht umhin, es doch zu tun, als der Chor im tiefen Rus-Bass den abschließenden Refrain aufgriff. Beide sprachen sie kein Wort, blickten sich in den Schatten nur gegenseitig an. Früher mal hatte sie ihm erklärt, sie könnte ihn niemals heiraten, könnte niemals aufs Neue den Schmerz ertragen, den es brachte, wenn ein weiterer Geliebter in den Krieg zog wie ihr erster Verlobter, der nie zurückgekehrt war. Und doch hatte sie erneut den Sprung gewagt.
Der Doppelvollmond lag jetzt dreizehn Tage zurück. Inzwischen mussten die Merki im Anmarsch sein. Womöglich fand Andrews kurzer Besuch zu Hause noch heute Abend sein Ende
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