Die Rache der Jagerin
dem Mittagessen.«
»Gott sei Dank, ich habe Kohldampf.« Bei der Erwähnung einer Mahlzeit knurrte mir der Magen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte. »Sag mir, dass es Hamburger gibt oder Spaghetti oder etwas …«
»Du bekommst erst einmal Brühe«, unterbrach Wyatt mich. »Du hast seit einiger Zeit nichts mehr gegessen, und wir wollen deinen Organismus nicht überfordern.«
Ich stöhnte. »Du bist gemein.«
»Nur weil ich es gut mit dir meine.« Er umfasste meine Taille, und ich legte den Kopf an seine Brust. Sein Herzschlag drang laut in mein Ohr, und ich atmete seinen Duft ein – frisch und männlich, aber ohne die Spur Zimt. Musste wohl an einer bestimmten Seife oder einem Aftershave liegen, das er nicht zur Verfügung gehabt hatte, seit er das Krankenhaus verlassen hatte.
Irgendwann war Phin hinausgegangen und hatte die Tür hinter sich zugezogen.
Ich schmiegte mich ein bisschen enger an Wyatt, denn seine Umarmung tröstete mich. In so kurzer Zeit war so viel passiert. Es kam mir vor, als wäre die Nacht in der Ersten Kluft schon einen Monat her. Damals hatten wir geglaubt, es wäre unsere letzte gemeinsame Nacht. Ich hatte mir so sehr gewünscht, mit ihm zusammen zu sein. Ich hatte ihm sagen wollen, dass ich ihn genauso liebte, wie er mich liebte, hatte es jedoch nicht über mich gebracht. Er hatte mir versichert, dass er es verstand, und das hatte mich verwundert, denn ich hatte es selbst nicht verstanden. Und ich verstand es noch immer nicht.
Er fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. »Du solltest dich ausruhen, solange du Gelegenheit dazu hast«, murmelte er, und sein Atem kitzelte mich.
»Ich habe einen ganzen Tag lang geschlafen, Wyatt. Ich bin nicht mehr müde.«
Er lachte, so dass seine Brust bebte und die Vibration an meinen Körper weitergab. »Na schön, dann sieh es als meine spärlich verschleierte Bitte, selbst ein Nickerchen halten zu dürfen. Nicht jeder erholt sich so schnell wie du.«
Ich wich so rasch zurück, dass er erschrocken zusammenfuhr. »Tue ich dir weh?«, fragte ich. Ich kam mir wie eine Idiotin vor, weil mir jetzt erst auffiel, wie bleich er war.
»Nein, du hast mir nicht weh getan.« Er streckte die Hand aus und schob mir eine Haarlocke aus dem Gesicht. »Aber Schmerzmittel helfen nur begrenzt, und mein Rücken plagt mich wie irre.«
Ich zog die Beine auf das Doppelbett und rutschte Richtung Wand. Die Decke zerrte ich hinter mir her. Meine Beine protestierten kaum mehr, und echte Schmerzen hatte ich nur noch im Knie – und auch die würden bald verschwinden. Ich legte mich auf die linke Seite und hielt Wyatt einladend die Decke hoch.
Ohne ein Wort nahm er die Einladung an und legte sich neben mich. Ich stupste ihn so lange, bis auch er sich auf die linke Seite drehte und ich mich von hinten an ihn kuscheln konnte. Dabei spürte ich den Verband unter seinem Hemd. Auch am Rücken nahm ich seinen Herzschlag wahr. Es war so anders als beim letzten Mal, als wir »miteinander geschlafen« hatten.
Ich schlang einen Arm um seine Taille, und er verschränkte die Finger mit meinen. Eine Weile lang lag ich wach, lauschte seinem Atem und fragte mich, ob wir jemals mehr als dies hier haben würden. Ruhige Augenblicke, um uns zu erholen, zwischen Scharmützeln, Verrat und einem drohenden Krieg. Nach ein paar Tagen in der Hölle eine Stunde Frieden.
Seit wir uns vor sechs Tagen in dieser Form zum ersten Mal begegnet waren, sehnte sich mein Körper nach seiner Berührung. Dieser neue Leib, den ich noch immer zu begreifen versuchte und der so voll war von Empfindungen und Erinnerungen, die ich mit meinen eigenen in Einklang bringen musste. Das machte meine Schwäche für Wyatt in gleichem Maße aufregend und unheimlich. Ich wollte ihn lieben, aber ich wusste nicht, wie.
Und noch immer konnte ich mich selbst nicht davon überzeugen, dass es sich lohnte. In der Nacht im Altmühl-Gehege war er gestorben, und das hatte mich zutiefst erschüttert. Was, wenn er beim nächsten Mal nicht wiederauferstehen würde?
Wyatt gab ein leises Grunzen von sich, und ich lockerte meinen Griff. Mir war nicht bewusst gewesen, wie fest ich ihn umfasst hatte. »Was ist los?«, flüsterte er mit schläfriger, heiserer Stimme.
»Nichts.« Ich küsste ihn in den Nacken. »Ruh dich aus.«
»Das ist nicht so einfach, solange du das machst.«
Ich lächelte und küsste dieselbe Stelle noch einmal, direkt unterhalb vom Ansatz seiner kurzen Haare. »Solange
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