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Die Rache der Jagerin

Die Rache der Jagerin

Titel: Die Rache der Jagerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Medling
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auszuliefern. Ich wusste zwar nicht, wie ich Wyatt all dies verzeihen sollte, aber ich konnte ihn auch nicht blind in die Falle laufen lassen.
    Phin gab einen leisen, erstickten Laut von sich, woraufhin wir uns zu ihm umwandten. Er schaute mit geöffnetem Mund an die Decke, als stünde dort eine Prophezeiung geschrieben. Ich richtete den Blick ebenfalls nach oben und fragte mich, ob ich etwas verpasst hatte.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Wie lautete Coles Nachname?«
    »Ähm, Randall. Cole Randall.« Aus den Augenwinkeln sah ich Wyatt nicken. Als sich plötzlich sein Gesichtsausdruck änderte und von Elend zu blankem Entsetzen wechselte, drehte ich mich zu ihm. »Was? Was habe ich jetzt nicht mitgekriegt?«
    »Cole Randall«, sagte Wyatt. »Leonard Call. Dieser Mistkerl, und mir ist es nicht aufgefallen.«
    »Oder du wolltest es nicht sehen«, meinte Phin.
    »Verflucht aber auch!« Beunruhigt und zornig sprang ich auf.
    »Der Name ist ein Anagramm«, sagte Wyatt. »Wir wissen doch, dass Call sauer auf die Triaden ist, oder? Was, wenn mit dem Erinnerungszauber etwas schiefgegangen ist? Phins Beschreibung ist zwar vage, und es gibt in der Stadt dreihunderttausend Leute mit braunem Haar und dunklen Augen, aber sie trifft eben auch auf Cole zu.«
    Eigentlich hätte ich mich über diese entscheidende Entdeckung freuen müssen, aber Wyatts nüchterne Feststellung machte mich wütend. Bevor ich begriff, was ich da tat, war ich zu ihm gestürzt, hatte ihn von dem Stuhl gezerrt und gegen die Wand gestoßen. Er wehrte sich nicht, als ich ihn am Kragen packte und mich so weit vorbeugte, dass sich unsere Nasen fast berührten. Unsere Blicke trafen sich, und ich sah etwas in seinen Augen, das ich dort nie gesehen hatte: Angst. Angst vor mir.
    »Das hast du die ganze Zeit gewusst«, schäumte ich. »Die ganze verdammte Zeit über, Wyatt!«
    Er traf keine Anstalten, sich zu verteidigen, überließ sich einfach meinem Griff. »Ich hatte keinen Grund, an der Wirkung des Zaubers zu zweifeln oder gar anzunehmen, dass er seine Wirkung verloren haben könnte. Bis eben ist mir die Möglichkeit, dass er Cole sein könnte, nicht in den Sinn gekommen.«
    »Nicht einmal, als wir über Neutralisierungsaufträge und Leute, die einen Hass auf die Triaden schieben, gesprochen haben? Nicht einmal ein kurzer Gedanke?«
    »Nein!« Mit dieser vehementen Beteuerung flackerte wieder eine Spur seiner Wut auf. »Wie oft soll ich es denn noch sagen, Evy? Cole war verschwunden, tot und begraben wie ein Dutzend anderer Jäger.«
    »Manche von uns bleiben nicht tot.«
    Eigentlich sollte meine Bemerkung ihn verletzen, doch stattdessen machte sie ihn ärgerlich. »Ich habe es satt, mich dafür zu entschuldigen, Evy.«
    »Das verlangt ja auch keiner.«
    »Was willst du dann von mir?«
    Ich wollte Zeit haben, um wütend auf ihn zu sein. Zeit, um all das verarbeiten zu können, was er mir in den letzten Stunden erzählt hatte, angefangen bei seinen Eltern und seinem Bruder bis hin zu dieser Sache. Zeit, sich mit ihm hinzusetzen und uns wie Erwachsene darüber zu unterhalten. Vor allem wünschte ich mir Zeit, um herauszubekommen, was mit uns war. Doch wir hatten keine Zeit. Das hatten wir nie. In unserem Leben ging es immer um den nächsten Schritt und darum, sich auf den nächsten Kampf vorzubereiten. Solange die Stadt nicht von der Bedrohung durch Dregs befreit war und ich sie weiterhin als unsichtbare Wächterin beschützen musste, würden wir nie Zeit für uns haben.
    »Nichts«, erwiderte ich und war von der Kälte in meiner Stimme überrascht. Ich ließ ihn los und ging ein paar Schritte zurück. Er blieb an der Wand stehen und beobachtete mich wachsam. Doch ich wandte mich Phin zu. »Sieht so aus, als würde sich Leonard Calls Geheimnis lüften, wenn du und Wyatt zu ihm geht. Dann ruf ihn schon an.«
    »Gleich«, gab Phin zurück. Man sah ihm nicht an, was er dachte. Der Streit eben schien ihn nicht bekümmert zu haben. Andererseits hatte ich ja erlebt, dass er ein guter Schauspieler war. Nun zog er ein Stück Papier aus der Tasche und faltete es auseinander. Es war eine Kopie. »Das ist Snow aus der Tasche gefallen, und ich glaube nicht, dass er es gemerkt hat.«
    Ich nahm den Zettel. Die Kopie war schlecht und dunkel, aber noch lesbar. Es handelte sich dabei um eine Einladung zu der Benefizveranstaltung, die Kismet erwähnt hatte. »Er geht auf eine Party?« Dann fiel mein Blick auf die Adresse: Parker’s Grand Palace. Und da dämmerte es mir.

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