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Die Rache der Jagerin

Die Rache der Jagerin

Titel: Die Rache der Jagerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Medling
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der Geschöpfe aus Sagen und Legenden – für die man ihr Volk stets gehalten hatte. »Soll ich dich ein Stück mitnehmen?«, fragte sie.
    Ich blinzelte. Nicht gerade eine unauffällige Fortbewegungsweise, aber in diesem Teil der Stadt war nicht viel los, vor allem nicht an einem Sonntagabend. Zum Glück hatten wir uns keinen belebten Wochentag ausgesucht, denn dann wäre bestimmt ein Bild von uns auf der Startseite irgendeiner Verschwörungstheorie-Website gelandet. Ich nahm meine Kette ab und steckte sie in die Tasche, da ich nicht riskieren wollte, den silbernen Anhänger zu verlieren.
    Mit verschränkten Armen drehte ich mich um und hielt das Eisen gegen meine Brust gedrückt, wie Phin es mich damals geheißen hatte. Sie trat dicht hinter mich, so dass ich ihre Brüste im Rücken spürte. Noch nie hatte ich so engen Kontakt mit einer nackten Frau gehabt. Sie schlang die Arme um mich und packte fest zu.
    »Halte dich gut fest«, wies sie mich an.
    Ihre Warnung kam beinahe zu spät, um mich noch darauf gefasst zu machen. Schon erhoben wir uns und rasten durch die Luft. Laut drang mir das Brausen des Windes und das Schlagen der Flügel in die Ohren. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie so schnell und so kräftig war, denn sie trug mich völlig mühelos. Wir sausten zwei Straßen weit über die Dächer dahin, und dann stürzte sie so jäh auf die leere Straße herab, dass ich fast losgekreischt hätte, weil ich sicher war, dass wir eine Bruchlandung hinlegen würden. Dicht über dem Boden ging es noch bis zur nächsten Querstraße, an der sie abrupt nach links abbog.
    Die Gasse war breiter als die anderen, und da hier keine Müllcontainer herumstanden, hätte sogar ein Lieferwagen hindurchgepasst. Sie setzte mich ab, und mir zitterten die Knie. Japsend holte ich Luft. Jetzt erst fiel mir auf, dass ich während des gesamten Flugs den Atem angehalten hatte. Von der Eisenstange tat mir die Brust weh.
    »Verdammte Scheiße«, murmelte ich keuchend.
    »Am Ende dieser Gasse rechts«, sagte Aurora ganz sachlich. »Links von dir siehst du dann die Feuerleiter, und das ist das Haus. Viel Glück, Evangeline.«
    »Dir auch. Und sei vorsichtig.«
    Mit einem strahlenden Lächeln verwandelte sie sich in einen Falken zurück und flog in den dämmrigen Abendhimmel. Froh, dem Ziel so nahe zu sein, eilte ich im Laufschritt durch die Gasse. Der untere Teil der Feuerleiter war nicht ausgefahren, aber das hielt mich nicht auf. Ich konzentrierte mich auf den obersten Treppenabsatz direkt unterhalb des Daches und schloss die Augen. Ich überließ mich der knisternden Kraft der Kluft und materialisierte mich genau am gewünschten Ort.
    Von Mal zu Mal ging es leichter.
    Mit flauem Gefühl im Magen und einem Schwung Adrenalin im Blut lugte ich über den Rand. Hinter einer fünfzehn Zentimeter dicken und einen Meter hohen Brüstung erstreckte sich die weite Dachfläche. Direkt vor mir waren Dutzende Zementplatten ausgelegt, die eine Art Terrassenbereich bildeten. In sechs Metern Entfernung ragte der Zugang zum Treppenhaus und zum Aufzug auf. Zu beiden Seiten dahinter waren die dunklen Glasscheiben des Wintergartens zu erkennen.
    Niemand schien Wache zu halten, was mich erleichterte, gleichzeitig aber auch verblüffte. War sich Call seiner Sache so sicher, dass er glaubte, keinen Schutz zu brauchen? Die Geräusche der Stadt drangen aus weiter Ferne an mein Ohr, und der Nachthimmel war wie eine Decke, die unsere Taten vor den Augen der Welt verbarg.
    Mit einem Quietschen ging die Tür zum Treppenhaus auf, und ich duckte mich, während mein Herz in der Brust hämmerte.
    »Da lang«, sagte jemand. Es war eine Frauenstimme, die mir bekannt vorkam. Eleri, Isleens Agentin?
    Schritte von mehreren Menschen, das Schlurfen auf dem Zementboden, dann das Zufallen der Tür.
    »Dein Chef hat einen grünen Daumen, was?«, fragte Wyatt ein wenig atemlos. Beim Klang seiner Stimme zuckten meine Finger, und ich umfasste die Eisenstange fester. Jemand kicherte. Das hatte ich ja verdammt gut getimt. Offenbar waren sie die acht Stockwerke zu Fuß heraufgestiegen.
    Ich lauschte angestrengt, bis ihre Schritte fast nicht mehr zu hören waren. Dann quietschte etwas – eine Türangel vielleicht? Ich wagte einen weiteren Blick über die Brüstung, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie an der linken Seite des Wintergartens eine Tür zufiel. Und noch immer keine Spur irgendwelcher Wachposten. Was nicht bedeutete, dass keine da waren. Aber ich konnte nicht einfach nur

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