Die Rache der Jagerin
keinen Glauben und sah sich weiterhin misstrauisch um. Dabei schaute er mich nicht einmal an. Offenbar bereitete ihm die Umgebung größere Sorgen. Allmählich verlor ich die Geduld – vor allem, als Joseph nun auch noch die Stirn runzelte.
»Die Tür ist kaputt«, sagte er, und seine Stimme war so dünn wie er selbst. Sie klang hohl und wispernd, so als würde man Luft durch ein Rohr blasen.
»Es ist ja nur vorübergehend«, erwiderte Phin. »Lass Aurora ruhig reinkommen.«
Also noch eine. Er hatte zwar von nur drei Überlebenden gesprochen, aber ich mochte die Invasion meiner Privaträume nicht. Und die Tatsache, dass er sie eingeladen hatte, ohne mich vorher zu fragen.
Nichtsdestotrotz machte Joseph einen Schritt zur Seite, so dass Aurora hinter ihm zum Vorschein kam. Sie fiel kaum auf, denn sie war nur eineinhalb Meter groß und so schlank und zierlich wie filigranes Porzellan. Ihr dunkelbraunes Haar ringelte sich in üppigen Locken bis zur Hüfte hinab. Mit billardkugelgroßen Augen, die von demselben lebhaften Blau waren wie Phins, betrachtete sie mich. Ich erwiderte den Blick, bis mir am Rande meines Gesichtsfelds etwas auffiel und ich meine Aufmerksamkeit auf ihren Bauch richtete.
Selten war ich so sprachlos. Ich konnte sie einfach nur anstarren, bis Phin sagte: »Verstehst du jetzt, Evy? Die Stadt zu verlassen wäre zu gefährlich. Wir brauchen nur noch ein paar Tage.«
Ich schaute ihm in die Augen und sah ihm dabei zu, wie er die Wohnungstür schloss, sich wie ein Leibgardist hinter Aurora aufstellte und ihr die Hände auf die Schulter legte. Als würde er sie und die Zukunft, die sie in sich trug, bewachen. Die Zukunft der überlebenden Kauzlinge. Denn Aurora war hochschwanger.
»Hilf uns«, sagte Aurora, und sie klang so lieblich und traurig wie das Lied einer Nachtigall. So wie Danika geklungen hatte. Nachdem ich ihre Stimme gehört hatte, konnte ich ihr nichts mehr abschlagen.
»Ich soll dich beschützen, bis das Kind geboren ist?«, fragte ich.
Phin nickte. »Haben wir dein Wort darauf?«
Ich warf einen Blick hinüber zur Badezimmertür, hinter der noch immer das Wasser plätscherte. Dann richtete ich den Blick auf Joseph und Aurora und wandte mich schließlich wieder an Phin. »Du hast mein Wort darauf.«
Mit ausgestreckter Hand kam Phin auf mich zu, und ich ergriff sie. Wir besiegelten den Handel per Handschlag.
Wyatt würde mich dafür umbringen.
3. Kapitel
08:09 Uhr
A urora und Joseph brachte ich in meinem Zimmer unter, betraute Phin mit der Zubereitung des Frühstücks – auf meine Frage, ob es ihm etwas ausmachen würde, Eier zu essen, lachte er laut heraus, was ich als ein Nein interpretierte – und stellte mich neben die Badtür, sobald das Wasser zu rauschen aufhörte. Lauernd wartete ich ab. Als die Tür aufging und Wyatt mit nassem Haar und einem um die Hüfte gewickelten Handtuch den Kopf herausstreckte, packte ich ihn am Arm und zerrte ihn aus der Dampfwolke heraus.
»Evy, wo …?« Er sprach nicht weiter, da ich ihn in Alex’ Zimmer zog und die Tür hinter uns schloss. »Was machst du da?«
»Ich wollte nicht, dass du vor unseren Gästen einen Wutanfall bekommst«, sagte ich.
»Worüber sollte ich denn wütend werden? Und was für Gäste?« Er verschränkte die Arme vor der nackten Brust, und ich beobachtete, wie sich seine sonnengebräunten Muskeln anspannten. Wasser tropfte ihm aus dem schwarzen Haar auf die Schultern und rann an seinem durchtrainierten Brustkorb hinab. Am liebsten hätte ich die Tropfen von ihm abgewischt. Mein Gott, sieht der in einem Handtuch umwerfend aus!
Er verlagerte das Gewicht, und als ich aufsah, trafen sich unsere Blicke. In seinem lag brennende Neugier und etwas anderes – etwas, das nichts mit meinen Neuigkeiten zu tun hatte, sondern nur damit, dass er halb nackt war und ich so nahe vor ihm stand. So ein Handtuch stellte bloß ein schwaches Hindernis dar zwischen ihm und dem Wunsch in mir, ihn …
Konzentrier dich, Evy! »Ich habe herausbekommen, was Phin will.«
Er zog eine Braue hoch. »Und?«
Ich berichtete ihm von meinem Gespräch mit Phin und von unseren neuen Gästen. Nur die Gründe, weshalb ich mich darauf eingelassen hatte, verschwieg ich ihm. Die brauchte ich Wyatt nicht extra zu erklären, denn er kannte mich gut genug, um zu wissen, warum ich den Kauzlingen meine Hilfe zugesagt hatte. Ohne mich zu unterbrechen, hörte er mir mit unbewegtem Gesichtsausdruck zu, bis ich zu Ende gesprochen hatte.
»Und?«, fragte ich
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