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Die Rache der Jagerin

Die Rache der Jagerin

Titel: Die Rache der Jagerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Medling
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    Wir fuhren nur ein kurzes Stück mit dem Bus. Die Zeit reichte gerade mal, um die viel zu süßen Pop-Tarts zu essen. Nur zwei Häuserblocks jenseits des Black River stiegen wir aus, denn die ständigen Stopps an den Haltestellen verlangsamten die Fahrt zu sehr. Außerdem war es in Mercy’s Lot auch tagsüber kein Problem, ein Taxi zu bekommen. Und so nahmen wir uns kurzerhand eines und fuhren einmal quer durch die Innenstadt zum größten und ältesten Krankenhaus.
    St. Eustachius befand sich am Westufer des Anjean River, ungefähr eine Meile nördlich von der Stelle, an der die beiden Flüsse sich vereinigten. Der älteste Teil des Komplexes war ein Ziegelsteingebäude, das heute vor allem die Verwaltung und Büros beherbergte. Darum herum waren im Laufe der Jahre ein halbes Dutzend weiterer Häuser aus dem Boden geschossen. Das Ganze wirkte dadurch eher wie der Campus einer Universität und nicht so sehr wie eine Klinik.
    Vor dem Haupteingang ließ uns der Taxifahrer aussteigen. Die Morgensonne spiegelte sich in den imposanten Glastüren, so dass nicht zu erkennen war, was drinnen vor sich ging. Nachdem ich zwei Schritte auf dem Gehweg getan hatte, erstarrte ich, und mir stellten sich die Nackenhaare auf.
    »Was ist los?«, fragte Wyatt, der an meiner Seite ging.
    »Mir ist gerade nur etwas eingefallen«, antwortete ich und blinzelte mein Spiegelbild in den glänzenden Türen an. »Als ich das letzte Mal hier war, bin ich in einer übergroßen Trainingshose aus der Leichenhalle geflohen und habe einem Arzt das Auto gestohlen.«
    »Du hast ein Auto gestohlen?«
    Hatte ich ihm das verschwiegen? Wahrscheinlich. Typisch, dass das seine größte Sorge bei der Sache war. »Viel wichtiger ist doch, dass mindestens zwei Ärzte gesehen haben, wie ich zuerst als kühlgestellter Leichnam auf dem Obduktionstisch gelegen habe und kurze Zeit später quicklebendig durch die Gegend spaziert bin, Wyatt.«
    »Dann sollten wir uns von der Leichenhalle fernhalten.«
    »Und was, wenn einer der beiden beschließt, mal eine Runde durch das Krankenhaus zu drehen?«
    »Evy, im Umkreis von dreißig Meilen ist dies das größte und am meisten ausgelastete Krankenhaus, da gehen ständig Hunderte Leute aus und ein. Die Wahrscheinlichkeit, ausgerechnet diesen zwei Leichenbeschauern zu begegnen, ist minimal.«
    Ich stöhnte. »Jetzt nicht mehr, nachdem du es ausgesprochen und damit das Schicksal herausgefordert hast.«
    Er stieß mir leicht gegen den Ellbogen. »Komm schon. Wir verschwenden nur Zeit.«
    Während wir uns einen Weg durch das Foyer bahnten und die Fahrstühle ansteuerten, blieb ich äußerst wachsam. Über allem lag der Geruch von Desinfektionsmittel, der sich gelegentlich mit dem Duft eines Aftershaves oder Körpergerüchen vermischte. Bei den Aufzügen trafen wir auf ein junges Paar, das sich nervös an der Hand hielt. Eine ältere Frau gesellte sich zu uns und drückte mit einem knorrigen Finger den Knopf, der ohnehin schon geleuchtet hatte. Aus ihrer Richtung wehte uns eine Whiskeyfahne entgegen.
    Der Lift kam und spuckte ein halbes Dutzend Leute aus. Wir traten in die Kabine und gingen bis nach hinten durch, damit auch die anderen Platz fanden. Wyatt drückte die Vier und das junge Paar die Fünf. Die Whiskey trinkende Matrone stand einfach nur ein wenig gebeugt da. Als die Türen sich bereits wieder schlossen, erklang vom Foyer eine Stimme: »Halt!«
    Der junge Mann drückte den Türöffner, und die Flügel glitten auseinander. Eine Gestalt mit rotem Haar und in blauer OP-Kleidung wirbelte herein und kam schlitternd neben der Alten zum Stehen. Die Frau hielt einen Stapel Patientenakten an die Brust gepresst.
    »Danke«, sagte die Rothaarige.
    Zitternd starrte ich sie von der Seite an. Mehr als Kinn und Nase konnte ich zwar kaum ausmachen, aber die Stimme würde ich niemals vergessen. Der eine Arzt hatte sie Pat genannt. So viel zu Wyatts minimaler Wahrscheinlichkeit.
    Pat wandte den Kopf in unsere Richtung. Scheiße. Rasch drehte ich Wyatt an der Schulter zu mir, legte mein Gesicht an seine Brust und fing an, gespielt zu weinen. Erst zuckte er zusammen, denn offenbar war er sich nicht sicher, was mit mir los war. Doch dann legte er die Arme um mich. Ich nahm keine Notiz von seiner angenehmen Umarmung und den sanften Kreisbewegungen, mit denen er meinen Rücken streichelte, sondern konzentrierte mich voll darauf, ein paar Tränen zu produzieren. Nur um der Szene etwas mehr Realismus zu verleihen.
    Nie hätte ich

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