Die Rache der Liebe
wieder sicherer wurde und sich über die Einmischung des Wikingers zu ärgern begann.
Turgeis grunzte, ein Laut, den Erika eindeutig als: »Du lügst!« erkannt hätte. Und Turgeis bezweifelte in der Tat, dass der Gefangene auch nur einen der Peitschenhiebe gespürt hatte. Außerdem hegte er den Verdacht, Wulnoth habe sich gar nicht erst damit aufgehalten, den Mann wach zu bekommen; Wulnoth kannte seine Lady gut genug, um zu wissen, dass sie ihre Entscheidung wieder rückgängig machen würde, und hatte deshalb keinen Moment seiner kostbaren Zeit vergeuden wollen. So sehr Wulnoth es auch vorzog, dass seine Opfer ihre Qualen bewußt miterlebten, hatte er sich in diesem Fall womöglich damit begnügt, Wunden zu schlagen, die erst später schmerzen würden.
Turgeis bewies nun, wie einfach es für einen starken Mann war, den Haken aus der Wand zu reißen. Er fing den Mann auf, ehe dieser hinfallen konnte. Obwohl er damit gerechnet hatte, dass der Mann schwer sein würde, war er über dessen tatsächliches Gewicht nun doch überrascht. Der Mann war wirklich ungeheuer schwer, obwohl er um den Oberkörper herum abgemagert wirkte, was seine Muskeln noch mehr hervortreten ließ.
Vorsichtig legte Turgeis den Mann mit dem Bauch nach unten auf den Boden und bettete seinen Kopf auf einen abgewinkelten Arm. Die Haut des Mannes strahlte eine fiebrige Hitze aus, und nun entdeckte Turgeis auch die Schwellung an seinem Hinterkopf.
Turgeis' Blick glitt wieder zu Wulnoth, der die Anklage darin zu lesen vermochte und sich wohlweislich in Richtung der Tür zu bewegen begann. »Du hast gelogen! « sagte Turgeis leise. »Er hat die Verletzung, von der er gesprochen hat.«
Wulnoth log weiterhin, obwohl ihn seine fahle Gesichtsfarbe ohnehin verriet. »Ich habe nichts gefühlt.«
»Gleich wirst du aber fühlen ... !«
Turgeis brach ab, da er es nicht gewohnt war, derart in Wut zu geraten und dies auch noch offen zu zeigen. Schon in jungen Jahren hatte er gelernt, sämtliche Gefühle zu kontrollieren. Allein schon seine Größe hatte dies erfordert. Seine einzige Entgleisung hätte damals beinahe den Tod seines eigenen Bruders zur Folge gehabt, der das nie vergessen und deshalb auch einen Plan ausgeheckt hatte, wie er ihn für immer loswerden könnte.
Er wandte Wulnoth den Rücken zu und knurrte nur leise: »Wenn du dich ihm noch einmal näherst, bringe ich dich um.«
Eine klare Aussage. Er war ein schlichter Mann von wenigen Worten. In der Tat hatte er an diesem Abend mehr geredet, als er in den vergangenen Monaten insgesamt von sich gegeben hatte. Und er hatte keine Ahnung, was er als nächstes tun sollte. Mit Krankheiten und Verletzungen kannte er sich nicht aus. Aber er konnte noch nicht nach der Heilerin schicken, da diese noch mit Thurston beschäftigt war. Erika war ebenfalls in den Heilkünsten bewandert, doch auch sie würde den Jungen jetzt nicht verlassen, und außerdem wollte er die Angelegenheit, wenn irgend möglich, von ihr fernhalten. Nur, was sollte er jetzt mit Selig, dem Gesegneten, tun?
Er überlegte, ihn an einen freundlicheren Ort zu schaf fen, aber der Mann würde von seiner Umgebung sowieso nicht viel mitbekommen, wenn er erwachte - falls er erwachte. Also begab sich Turgeis nach draußen und rief einen Wachmann herbei.
»Hol einen Sklaven, der einen Strohsack, Decken, Kerzen und Wasser beschaffen soll - und Essen. Viel Essen. Bring die Sachen zum Loch und warte dann vor dem Gemach des jungen Lords. Sobald die Heilerin herauskommt, schickst du sie umgehend zu mir.« Der Wachmann kannte Turgeis gut, saß jeden Tag neben ihm an der Tafel und war nun verblüfft, eine so lange Rede von ihm zu vernehmen Und die war noch nicht vorbei: »Lady Erika soll davon nichts erfahren, vor allem nicht, dass ich die Heilerin brauche.«
Turgeis kehrte wieder zurück ins Loch, gerade rechtzeitig, um den Gefangenen einige unverständliche Laute murmeln zu hören, denen ein gepresstes »Nicht einmal Thors Zähne können so scharf sein!« folgte.
Sofort eilte Turgeis zu ihm. Der Mann hatte zwar gesprochen, sich jedoch nicht bewegt. Er hatte in Turgeis' norwegischer Muttersprache geredet, deren bloßer Klang Turgeis süß durchrieselt hatte. So unwahrscheinlich es auch scheinen mochte, so befürchtete er doch, dass alles, was der Mann gesagt hatte, der Wahrheit entsprach. Obwohl der Mann dringend ihrer Hilfe bedurfte, hatte ihn Wulnoth, dieser hinterlistige Kriecher, einfach nur deshalb beschuldigt, weil er ein Fremder war.
Die
Weitere Kostenlose Bücher