Die Rache der Liebe
Schamröte in die Wangen. Zu so einem Verhalten konnte sie sich nicht durchringen - nicht, solange sie noch irgendeine Hoffnung hatte. Ihr Stolz ließ das einfach nicht zu.
Und sie hatte eine Hoffnung- ihren Bruder. Sie würde diesen Ort verlassen und diese Menschen nie wieder sehen, nie wieder an die Demütigungen, die sie hier erlitten hatte, erinnert werden, nie wieder ... nay, das war nicht die volle Wahrheit. Wie sollte sie einen Mann wie Selig Haardrad je vergessen, wenn sie ihn sich in Gedanken so deutlich vorstellen konnte, als würde er leibhaftig vor ihr stehen? Und wie es aussah, würde dieses Bild auch nicht so schnell verblassen.
Die Person, um die nahezu all ihre Gedanken kreisten, tauchte unvermutet am frühen Nachmittag bei ihr auf. Er hatte jenes Lächeln aufgesetzt, das sie mittlerweile zu fürchten gelernt hatte. Seine erste Handlung bestand darin, sie von der Wand abzuhaken, doch diesmal gab er ihr die Kette nicht in die Hand. Statt dessen zog er sie daran empor.
»Du hast Glück, Weib«, sagte Selig in belustigtem Ton. »Die Sache, die wir beide zu klären haben, muss nicht bis zu Alfreds Abreise aufgeschoben werden.«
Erika stöhnte innerlich auf, wußte sie doch nur zu genau, worauf er anspielte. »Warum nicht?«
»Royce hat den König und sein Gefolge auf die Jagd mitgenommen. Sie werden mehrere Stunden wegbleiben. Nur einige wenige Lords sowie ein Großteil der Ladys sind hiergeblieben.«
»Warum bist du nicht mit auf die Jagd? Hat dich der Trubel der letzten Tage zu sehr erschöpft?«
»Wie hoffnungsvoll du dich anhörst, doch ich muss dich leider enttäuschen«, erwiderte er, einen bedauernden Ton anschlagend, was ihm aber nicht ganz gelang. »Ich habe es einfach vorgezogen, die Zeit mit dir zu verbringen!«
»Dieser Wunsch beruht nicht auf Gegenseitigkeit. «
Er lachte. Seine gute Laune war unübersehbar; er platzte förmlich vor Erwartung. Erika wußte, worauf er sich freute. Und es kümmerte ihn auch nicht, welche Antwort sie ihm geben würde. Er hätte so oder so seine Genugtuung.
»Du hattest genügend Zeit, eine Entscheidung zu treffen ... «
Ach habe überhaupt nicht darüber nachgedacht«, fiel ihm Erika rasch ins Wort.
Doch die Verzögerungstaktik zeigte keinen Erfolg. »Das ist schade, aber nicht weiter wichtig«, bemerkte er vergnügt. »Letztlich bedarf es keiner langen Überlegung, ob du mich Herr nennen willst oder nicht. Ob du nichts weiter als deine Ketten am Leib tragen willst oder nicht. Welche Wahl triffst du, Erika Herzlos?«
»Keine.«
»Willst du also zu meinen Füßen knien und aus meiner Hand essen? Ich werde dir nicht länger die Wahl lassen. Vielleicht irgendwann zu einem anderen Zeitpunkt, aber nicht jetzt.«
Ach nehme keines von deinen Angeboten an.«
»Oh, ganz im Gegenteil! Ich würde sagen, du hast deine Wahl un miss verständlich kundgetan.«
Abwehrend wich Erika zurück, doch er zog sie einfach an der Kette wieder zu sich heran.
Von Panik ergriffen, schrie sie nun: »Ich sagte, ich werde keines deiner lächerlichen Angebote annehmen!«
Er schlug einen milden Ton an, als wolle er einem begriffsstutzigen Kind etwas erklären. »Aber diese Möglichkeit wurde dir nicht geboten. Du muss test zwischen den beiden Alternativen wählen, und da du dich bereits entschieden hast ... «
»Habe ich nicht!«
»Dann bitte ich um Verzeihung. Ich könnte schwören, dass ich aus deinem Munde nicht die Anrede >Herr< vernommen habe. Aber wenn du es jetzt wiederholst, bin ich gerne bereit, meinen Irrtum zuzugeben! «
Statt einer Antwort presste sie die Lippen so fest zusammen, dass alles Blut aus ihnen wich. Er war über ihre Weigerung nicht zornig. Ganz im Gegenteil. Er lachte.
»Nay?« spottete er. »Dann habe ich also doch richtig gehört. Du hast dich entschieden, deine spärlichen Reize aller Welt zu enthüllen. Ich bin sicher, die Menschen dort unten in der Halle werden deinen Auftritt sehr unterhaltsam finden. Du kannst jetzt deine Kleider ablegen.«
Sollte er beabsichtigen, ihre angebliche »Wahl« als das größere der beiden Übel hervorzuheben, so gelang ihm das vortrefflich. Erika fand die Art, wie er mit ihr spielte und dieses Spiel darüber hinaus auch noch genoss , zutiefst verabscheuungswürdig. Aber diesmal würde sie nicht nachgeben, auch nicht zum Schein.
»Ich habe nicht vor, irgendjemanden zu unterhalten « , sagte sie kalt, »und am wenigsten dich. Falls es dir in deiner Einfalt entgangen sein sollte, so betone ich noch einmal: Ich
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