Die Rache der Liebe
verfügbaren Männer auf der Brüstung postiert. Es war lediglich eine Formalität, da es höchst unwahrscheinlich war, dass es heute noch zu einem Kampf kommen würde. Die Sonne stand schon ziemlich tief. Selbst die einführenden Unterredungen könnten auf den nächsten Morgen vertagt werden.
Die Dänen hatten genau hinter der Schusslinie dreist ihr Lager aufgeschlagen. Kristens Schätzung zufolge handelte es sich um etwa hundertundfünfzig Männer nebst Reittieren, und sie erweckten den Anschein, als seien sie für alle Eventualitäten gerüstet. Royce könnte mehr Männer aufbringen, doch nicht alle waren derart kampferprobt, wie es diese Dänen ganz zweifellos waren.
Was immer auch geschehen mochte, Kristen durfte es nicht zu einem Kampf kommen lassen. Und wenn das bedeutete, dass sie Selig solange bearbeiten müss te, bis er endlich einwilligte, die Frau freizugeben, so würde sie das tun. Natürlich würde sie zunächst seine Partei ergreifen. Sie würde seine Gefangene erst freigeben, wenn keine andere Möglichkeit mehr bestünde.
Kristen spähte entlang der Frontlinie, um zu sehen, ob sie unter diesen hochgewachsenen Wikingern Erikas Bruder herausfinden könnte. Doch erstmals blieb ihr Blick an Turgeis hängen, der unübersehbar zwischen den anderen emporragte.
»Ihr Schatten ist noch immer in der Nähe«, bemerkte sie, ohne über Turgeis' Anblick wirklich überrascht zu sein.
»Ihr was?«
»So nennt sie diesen Riesen, Turgeis Zehn Fuß, der ihr auf Schritt und Tritt folgt. « Sie deutete auf den Koloss , der in der Mitte der Frontlinie stand. »Schau, der da!«
»Beeindruckend!« bemerkte Royce.
Kristen schnaubte, da sie sich sehr wohl daran erinnerte, welche Wirkung der Mann auf einen ausübte, wenn man direkt vor ihm stand. »Wenn du gegen ihn kämpfen müss test, wärst du weniger begeistert. «
»Und welcher ist ihr Bruder?«
»Vielleicht der, der gerade mit Turgeis debattiert. Wer sonst würde das wagen?«
Royce grinste. Kristen war froh, dass er dem Ganzen etwas Amüsantes abgewinnen konnte, denn sie vermochte das beim besten Willen nicht.
27
Drei Dänen kamen auf das verschlossene Tor zugeritten. Turgeis Zehn Fuß war einer von ihnen. Der Anblick seiner gigantischen Streitaxt, die er über den Rücken geschultert hatte, ließ Kristen erschaudern. Die Dänen würden keinen Sturmbock benötigen. Um das Holztor zu zerschmettern, bräuchte der Riese nur seine Axt zu schleudern.
Kristen entschied sich dafür, dass Ragnar der mittlere der drei Männer sei, obwohl sein Gesicht durch seinen Helm verdeckt wurde. Er war hochgewachsen und durch den Krieg sehnig und durchtrainiert, aber Kristen registrierte mit heimlicher Freude, dass ihr Bruder weit größer war. Selig könnte es mühelos mit Ragnar aufnehmen - wenn er wieder völlig zu Kräften gekommen wäre. Denn obwohl er rein äußerlich völlig gesund wirkte, bedeutete das noch lange nicht, dass er für einen Kampf auf Leben und Tod tauglich wäre.
Die Pferde wurden angehalten. Zwei der Männer nahmen ihre Helme ab und klemmten sie unter die muskelbepackten Arme. Im Gegensatz zu seinen Gefährten trug Turgeis weder Helm noch Kettenpanzer.
» I ch bin Ragnar Haraldsson.«
Kristen hatte richtig getippt. Ragnar war ein gutaussehender Mann mit goldenem, von rötlichen Sprenkeln durchsetztem Haar und himmelblauen Augen - genau wie seine Schwester.
»Wir wissen, wer du bist«, rief sie zu ihm nach unten. » I ch bin Kristen von Wyndhurst.«
»Aye, auch wir wissen, wer du bist, Lady!«
In seiner Stimme schwang nun Zorn, der zuvor nicht zu hören gewesen war und eindeutig Kristen galt. Einen Moment fragte sich Kristen verwundert, weshalb der Mann so heftig auf sie reagierte, und gelangte dann zu der Erkenntnis, dass sie dies Turgeis zu verdanken hätte. Als Ragnar auf Turgeis gestoßen war, hatte dieser ihm wahrscheinlich alles berichtet, was sich außerhalb von Gronwood abgespielt hatte, jede einzelne Tat, jedes einzelne Wort, denn von seinen Leuten auf Gronwood hatte Ragnar vermutlich nur eine oberflächliche Beschreibung der Geschehnisse erhalten.
» I st meine Schwester noch am Leben?«
Noch vor kurzem hätte Kristen diese Frage überrascht, jetzt allerdings nicht mehr. Vielleicht hatte Turgeis ihnen allen sogar einen Gefallen getan, indem er seinen Lord davon überzeugt hatte, dass sie so blutrünstig wie ein Mann sei. Es schadete gar nichts, ihn vorerst in dem Glauben zu lassen, und ein wenig zu bluffen.
»Deine Schwester erfreut
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