Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
alles auf eine Karte setzten und den sie vorher Dutzende Male geprobt hatten. Die Medica hätte Ambros am liebsten angestupst, weil die Stille allmählich für ihren Geschmack unerträglich wurde, aber das war natürlich unmöglich.
Endlich sagte Ambros in der Gestalt des Königs mit lauter, klarer und fester Stimme: »Wollt Ihr nicht herunterkommen und mir den Friedenskuss geben, Euer Eminenz?«
Ein halbes Vaterunser lang geschah nichts. Es war die Probe aufs Exempel, jetzt entschied sich, ob die Strategie der Medica aufging oder nicht. Ob sich der ganze Aufwand gelohnt hatte und alle, einschließlich Konrad von Hochstaden, in Ambros Konrad IV . erkannten, oder ob sie alle, die an diesem Komplott beteiligt waren, aufflogen und des Hochverrats bezichtigt wurden. Anna verzog keine Miene. In diesem Augenblick, in dem alles auf des Messers Schneide stand, war sie die Ruhe selbst. Sie hatte das ihrige für ein Gelingen getan. Der Rest lag bei Ambros. Und bei ihrem Onkel, dem Erzbischof.
Und siehe da, nach schier unendlichem und unerträglichem gegenseitigen Belauern kam Bewegung in den Erzbischof, sein Hirtenstab senkte sich.
Pater Severin wollte ihm eine stützende Hand reichen, aber Konrad von Hochstaden schüttelte sie unwillig ab und schritt allein langsam die Treppenstufen vom Altar herunter und auch noch die restliche Strecke auf Ambros zu, der ihm keinen Fußbreit entgegenkam.
Der Erzbischof verharrte vor dem König und starrte ihm ins Gesicht, versuchte, zu ergründen, warum der König doch noch im allerletzten Moment von den Toten auferstanden zu sein schien. Aber das Antlitz von Ambros blieb unergründlich, tapfer hielt er dem bohrenden Blick des Erzbischofs stand und zuckte nicht mit der Wimper. Der Erzbischof atmete einmal tief durch, dann beugte er seinen Kopf vor und gab dem König den verlangten Friedenskuss auf die Wange.
Graf Georg von Landskron erfasste die Situation als Erster, nahm die Stufen zum Altar im Sturmschritt und deklamierte, für alle hörbar, indem er eine Hand hob: »Ihr Fürsten und ihr Bürger von Oppenheim. Das ist Konrad, der Vierte seines Namens und euer unbestrittener König!«
Für einen Augenblick lang war es, als hätte die beißende Kälte der Winternacht alle Gläubigen im Kirchenschiff zu Eis erstarren lassen.
Bis Bruder Thomas neben den Grafen an den Altar eilte und mit aller Inbrunst und so laut er konnte schrie: »Gott schütze den König! Gott schütze Konrad IV .!«
Der Jubel, der daraufhin mit einem Mal losbrach, war unbeschreiblich. Die Menschen brüllten, klatschten, johlten, umarmten sich gegenseitig, warfen ihre Hüte in die Höhe, kurz, es war der reinste Freudentaumel, als alle, bis auf ein paar wenige Fürsten, wie aus einem Mund skandierten, dass man befürchten musste, das provisorische Kirchendach aus Brettern würde davonfliegen: »Gott schütze den König! Gott schütze den König!«
Zufrieden mit seinem spontanen Auftritt und dem, was er ausgelöst hatte, lächelte Bruder Thomas Anna zu und zwinkerte verschwörerisch, aber so, dass es außer der Medica und Chassim niemand bemerkte. Sowieso waren alle damit beschäftigt, nicht aufzuhören mit ihren Rufen, bis der König mit beruhigenden Gesten und strahlenden Gesichts wieder für allmählich einkehrende Ruhe sorgte. Als endlich wieder Stille herrschte, nahm er, für alle sichtbar, in einer eleganten Geste, die Bruder Thomas mit ihm einstudiert hatte, die linke Hand des Erzbischofs und küsste den Bischofsring, bevor er zu Konrad von Hochstaden sagte: »Fröhliche Weihnachten, Euer Eminenz.«
Der Erzbischof brachte nur ein knappes Nicken zustande, ihm waren die Worte im Hals stecken geblieben, was ganz selten vorkam.
Dann winkte der König leutselig der Menschenmenge zu, die von den Soldaten, die sie vor ihm abschirmten, kaum noch im Zaum gehalten werden konnte. »Frohe Weihnachten, ihr lieben Leute!«, rief er. »Euch allen frohe Weihnachten!«
Die Menschen lachten, jubelten und winkten zurück. Jeder Einzelne wünschte seinem König ebenfalls lautstark und von Herzen frohe Weihnachten, in der Ungleichzeitigkeit und Disharmonie aus Hunderten von individuellen Kehlen lag eine Harmonie des Gleichklangs aller Wünsche und Hoffnungen, fokussiert auf diesen prächtig gekleideten Jüngling mit der schlichten Krone, der selig lächelnd und huldvoll vor ihnen stand.
Das war eine Majestät ganz nach dem Herzen und Geschmack des einfachen Volkes, das war ihr König!
Für einen winzigen Moment gab es
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