Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
ihn auf die Ladefläche und fuhr damit zur Tür. Dort spähte er erst einmal in den Hof, ob die Luft rein war.
Das Geläut der Kirchenglocken in Oppenheim trug gerade die frohe Botschaft von der Ankunft des Herrn in die Nacht hinaus. Die Messen in der Stadt waren also zu Ende.
Jetzt musste Pater Severin sich beeilen. So rasch er konnte, schob er die Schubkarre über den Hof durch eine unbewachte Pforte unter dem Wehrgang hindurch auf den Zwinger und von dort zur äußeren Wehrmauer auf der Rückseite der Burg, die am Rand eines felsigen Abgrunds stand, der steil zum Halsgraben abfiel. An der äußeren Wehrmauer war eine Pforte, die ins Nichts führte und meistens offen stand, weil man sie unmöglich von außen erklimmen konnte, der Fels ging glatt und senkrecht doppelt baumhoch bis zum Burggraben hinunter, dessen Wasseroberfläche mit einer leichten Eisschicht bedeckt war. Durch diese Pforte wurde für gewöhnlich der Abfall geleert, der im Wassergraben landete. Pater Severin sah hinunter, im Mondlicht war das glitzernde Eis zu erkennen. Er zerrte den Körper von der Schubkarre herunter und durch die Pforte, dann ließ er ihn in die Tiefe fallen.
Der Leichnam, der von großer Höhe herunterplumpste, durchschlug die Eisdecke und verschwand im Wasser. Zurück blieb ein schwarzes Loch. Pater Severin überzeugte sich davon, dass von der Leiche nichts mehr zu sehen war, und brachte die Schubkarre zurück an ihren angestammten Platz in den Stallungen. Dann verschwand er, um sich umzuziehen.
Beim festlichen Bankett durfte er schließlich nicht fehlen.
III
D ie Augen des jungen Königs glänzten vor Freude und Aufregung, als die Medica, Ambros und Bruder Thomas ihm erzählten, wie die Mitternachtsmesse abgelaufen war.
Er hatte darauf bestanden, geweckt zu werden, sobald sie vom Gottesdienst zurückkamen, aber das war gar nicht nötig, er hatte vor Anspannung sowieso kein Auge zugetan. Je länger er nichts von ihnen hörte, umso mehr Angst bekam er, dass das gewagte Vorhaben der Medica schiefgegangen war und sein Doppelgänger Ambros samt Medica und Bruder Thomas bereits im Verlies schmorten und einem Prozess wegen Hochverrats entgegensahen. Gleichzeitig fürchtete er natürlich, dass damit der Erzbischof die Oberhand behalten und einen Gegenkönig an seiner Stelle eingesetzt hatte.
Doch Gott sei Dank war alles nach Plan gelaufen, wenn nicht noch viel besser. Konrad IV . ergötzte sich an jeder Einzelheit, von der ihm berichtet wurde. Dabei spielte der regelrecht aufgedrehte Bruder Thomas die Rolle des Erzbischofs und dessen Gesichtsausdrücke von besorgt bis stinkwütend, die er dementsprechend deftig übertrieb, bis Konrad der Echte, wie er sich selbst inzwischen nannte, sich vor lauter Lachen den Bauch hielt und ihn bat, sofort aufzuhören, weil er nicht mehr konnte.
Die Medica übernahm den ernsteren Part und berichtete davon, wie das Ansehen des Königs durch den perfekten Auftritt von Ambros gestiegen war und das Königtum der Hohenstaufen in den Augen des Volkes und der meisten Fürsten gefestigt hatte. Der Rest war sowieso unbelehrbar. Ambros hielt sich im Gemach des Königs auffallend zurück, er war gottfroh, aus den steifen, zeremoniellen Gewändern herauszukommen. Außerdem war er zu Tode erschöpft, das stundenlange, anstrengende Üben vor der Messe und der Auftritt selbst, die furchtbare Anspannung sowie das anschließende Festbankett, an dem er mit der Medica, Chassim und Bruder Thomas an seiner Seite wenigstens anstandshalber noch eine Weile teilnehmen musste, bevor er sich mit der Medica und Bruder Thomas zurückziehen konnte – das alles hatte seinen Tribut gefordert. Im Vorzimmer hatte er sich bis auf seine Tunika mit Hilfe des Kammerdieners seiner sorgfältig angelegten Gewänderschichten entledigt und war sofort auf dem Strohlager von Bruder Thomas eingeschlafen.
Beim Festbankett hatte er auf einem eigens angefertigten thronähnlichen Lehnstuhl gesessen, unzähligen Fürsten und deren Gemahlinnen zugeprostet und wohl auch ein wenig zu viel Wein erwischt, obwohl Chassim neben ihm saß und Ambros beim Trinken und Essen genau auf die Finger geschaut hatte. Aber der Hütejunge unter den königlichen Gewändern war nach zwei Schlucken vom Wein beschwipst, er war es nicht gewohnt, etwas anderes als Wasser oder Milch zu trinken. Die eigens aufspielenden Musiker waren laut, es wurde viel gelacht, gegessen und getrunken, aber trotz der unbeschwerten Fröhlichkeit durfte Ambros kein unbedachtes Wort
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