Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
greifen und dem Jungen etwas geben, das ihn wach machte und ihm Selbstbewusstsein gab? Sie hatte eine Kräutermischung von Jakob Ben Ascher dabei, dem Medicus und Händler aus Köln, die er ihr zum Abschied geschenkt hatte mit dem Hinweis, dass sie die Dosierung erst testen sollte, bevor sie sie anwendete. Es handelte sich um eine Mischung aus Alraune, Bilsenkraut und Tollkirsche, eine hochwirksame, aber gefährliche Mixtur, die, richtig angewendet, einen stundenlang wach und bei bester Laune halten würde, wenn man müde war und nicht mehr konnte. Jakob hatte die Medica allerdings ausdrücklich gewarnt. Wenn man zu viel davon einnahm, bestand erstens die Gefahr einer Vergiftung, und zweitens konnte es passieren, dass man nicht mehr Herr seiner Sinne war und Dinge sah, die gar nicht existierten und einem panische Angst einflößten, weil man sich einbildete, der Satan habe das Portal zu seinem Pandämonium weit aufgestoßen und sämtliche seiner scheußlichsten Kreaturen und Dämonen auf einmal auf die Welt losgelassen.
Bruder Thomas versuchte es noch einmal mit Ambros, er sprach ihm mit Engelsgeduld vor, was er sagen sollte. Aber erneut verhaspelte sich Ambros heillos oder blieb hängen. So hatte es keinen Sinn.
Es konnte nicht mehr lange dauern und Graf Georg würde anklopfen und sie auffordern, sich in die große Empfangshalle zu begeben, weil der zweite Tag des Hoftags beginnen würde.
Anna zögerte nicht länger. Aber sie wollte niemandem verraten, was sie vorhatte, nicht einmal Bruder Thomas; diese Verantwortung musste sie ganz alleine schultern. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, eilte sie in ihre Kammer, wo sie die wichtigsten Utensilien und Heilmittel aufbewahrte. Sie suchte, fand den Beutel von Jakob und nahm ihn mit nach unten in die Burgküche. Dort gab sie kochendes Wasser in einen Becher und fügte eine winzige Prise der getrockneten Kräutermischung hinzu, überlegte kurz, gab noch ein paar Krümel dazu, rührte den Sud um, goss ihn durch ein Tuch in einen zweiten Becher, um die Kräuter abzuseihen, und machte sich mit dem Trank wieder auf in die königlichen Gemächer.
Dort war Ambros immer noch mit dem unermüdlichen Bruder Thomas zugange, der auf den Trichter gekommen war, dass Ambros ihm mit geschlossenen Augen zuhören sollte, weil er sich vielleicht auf diese Weise die Worte besser einprägen konnte. Anna redete erst gar nicht lange um den heißen Brei herum und bat Ambros einfach, den Becher, in dem sich der Trank inzwischen abgekühlt hatte, in einem Zug zu leeren. Sie behauptete, er würde ihm helfen, sich das Vorgesagte besser zu merken. Dafür erntete sie einen misstrauischen Seitenblick von Bruder Thomas, doch sie versicherte Ambros, dass das Gebräu nur aufmunternde und wachhaltende Wirkung hätte, und sah zu, wie er den Becher austrank und dann die Miene ob des bitteren Geschmacks verzog. Er war inzwischen für den feierlichen Anlass wieder in seine königlichen Gewänder gekleidet worden, und da klopfte es auch schon an die Tür. Graf Georg von Landskron war mit zwei Wachposten des Königs bereit, Ambros zur Empfangshalle zu geleiten. Alle anderen schlossen sich ihnen an, nur Konrad IV . blieb mit bangem Gesicht im Bett zurück.
Im Hinausgehen flüsterte Bruder Thomas Anna zu: »Was hast du ihm da eingeflößt?«
»Wie ich schon sagte«, flüsterte Anna zurück. »Etwas, das ihn munter macht.«
Bruder Thomas verdrehte die Augen gen Himmel, murmelte etwas, das sich nach einem seiner Stoßgebete anhörte, und folgte der Medica.
V
D ie große Empfangshalle auf Burg Landskron war leergeräumt worden bis auf den Thronsitz aus Holz, der vor der hinteren Querwand in der Mitte auf einem Podest stand. Darüber wölbte sich ein Baldachin aus Stoffen in den Farben der Hohenstaufen, Gold, Schwarz und Rot. Jeder, der vor den König treten wollte, musste die gesamte Länge der Halle durchqueren. Wenn man hereinkam, war man schon von der schieren Größe der Halle beeindruckt, erst recht, wenn man wie ein gewöhnlicher Bittsteller an den Wachen und Höflingen vorbeischritt, sobald man vom Hofmeister gerufen wurde, der die Zeremonie leitete. Ausgedacht hatte sich die spärliche Einrichtung Graf Georg von Landskron, um damit symbolisch die Alleinstellung der Hohenstaufer zu demonstrieren. Auf dem Podium standen noch zwei Hocker rechts und links vom Thron. Sie waren für Graf Chassim und Graf Georg gedacht, die Berater des Königs, der an diesem wichtigen Tag wieder, ohne dass es jemand merken
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