Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
schielte verstohlen zum Erzbischof und befürchtete schon einen Affront, als dieser auf den eisigen Blick von Ambros hin doch noch ausreichend ehrerbietig den Kopf zum Gruß neigte. Einer offenen Konfrontation schien er jedenfalls noch aus dem Weg zu gehen, zu groß war der Zuspruch für den König bei der Christmette gewesen, so dass er es in diesem Moment anscheinend für angeraten hielt, sich zurückzuhalten und auf eine Schwäche des Königs zu spekulieren, um dann Flagge zu zeigen.
Anna sah, dass Bruder Thomas inbrünstig vor sich hin flüsterte, er hatte die Hände zum Gebet gefaltet und die Augen fest zugedrückt. Im Stillen schloss sie sich seinem Stoßgebet an, sie wunderte sich, wie kühl und forsch Ambros auf einmal wirkte. Er schien verinnerlicht zu haben, was die Stunde geschlagen hatte, nestelte noch einmal kurz an seiner schlichten Krone, bat die Anwesenden mit einer Geste, sich wieder zu erheben, und – o Wunder! – begann noch stockend, aber fehlerfrei mit einer Stimme zu sprechen, die nicht zitterte, sondern kraftvoll war und immer lauter und sicherer wurde.
»Ihr seht mich hier vor Euch stehen als Euren gewählten König, vom Kaiser eingesetzt und von Gottes Gnaden.
Dem Reich und Euch, edle Fürsten, sowie meinem Volk gilt meine ganze Sorge. Aber dazu brauche ich Eure Unterstützung und Eure Wertschätzung, mehr noch: Eure Liebe. Was sind alle Schätze und alle Reichtümer dieser Welt gegen die Zuneigung meiner Untertanen. Ohne die Liebe des Volkes und die Zustimmung seiner Fürsten kann kein König dieser Welt regieren.«
Er machte eine wohlüberlegte Pause, ganz so, wie sie es ihm bei den Proben vergeblich eingetrichtert hatten. Dann fuhr er fort.
»Dafür bin ich Euch zutiefst dankbar in der begründeten Hoffnung, dass Eure Liebe und Euer Vertrauen in Euren Herzen verankert ist, so wie es in meinem Herzen verankert ist, das ist nicht nur meine Pflicht, sondern auch meine Verpflichtung als Herrscher. Dieses goldene Band zwischen Euch und mir möge so unzerstörbar sein wie das Band zwischen unserem Herrn Jesus Christus und allen Christenmenschen.«
Annas anfängliches Staunen wuchs – der Hütejunge fühlte sich mehr und mehr in seine Rolle ein, so dass er vom vorgesehenen Text abwich und selbständig zu formulieren begann. Aber es war gut, was er da sagte, und es klang echt und tief empfunden. Sie war fassungslos und beeindruckt – genauso wie die anderen Eingeweihten, Bruder Thomas, Chassim, der Graf und die Gräfin von Landskron, das konnte sie ihnen vom Gesicht ablesen.
»Aber nicht nur das. Es ist meine heilige Bestimmung, mich dafür einzusetzen, mit Eurer und Gottes Hilfe den von meinem Vater, dem Kaiser, ausgesprochenen allgemeinen Landfrieden zu bewahren, nach Recht und Gesetz zu handeln und zu urteilen. Niemand im ganzen Reich soll hungern oder Furcht haben. Dafür Sorge zu tragen, habe ich mir zur Lebensaufgabe gemacht. Einzig und allein im Streben nach diesen hehren Zielen verdiene ich Eure Liebe und Zuneigung. Und ich bin nicht gewillt, Unrecht und Tyrannei zu dulden, noch Uneinigkeit oder sinnlose Gewalt.«
Jetzt hatte sich Ambros völlig frei gemacht von jeglicher Textvorgabe, er wuchs förmlich über sich hinaus und warf dem Erzbischof einen warnenden Blick zu. Anna kam es vor, als habe Ambros eine Eingebung des Heiligen Geistes.
Bruder Thomas schien denselben Gedanken zu haben, jedenfalls deutete sie seinen verwunderten Gesichtsausdruck so.
Ambros sprach weiter. »Seid gewiss, dass mein Herz nicht auf weltliche Dinge gerichtet ist, sondern einzig und allein auf das Wohl des Reiches, seiner Fürsten und seiner Untertanen.«
Einige Zuhörer klatschten, darunter auch einige Fürsten. Und Elisabeth.
Ambros wehrte den Beifall fast unwirsch mit den Händen ab. »Ihr dankt mir, aber ich versichere Euch, ich habe Euch zu danken, denn ohne Euer Vertrauen stünde ich jetzt nicht hier. Glaubt mir, König zu sein ist nicht einfach, im Gegenteil, es ist schwierig. Aber noch schwieriger ist es, ein guter König zu sein, ein gerechter König. Ich habe vor einiger Zeit mit einem der Geringsten meiner Untertanen gesprochen, einem einfachen Hütejungen, der weder schreiben noch lesen kann und nicht viel von dieser Welt gesehen hat. Aber er hat mir eine Wahrheit gesagt, die sich tief in mein Herz eingegraben hat. Er sagte: Gott hat die Welt für uns alle geschaffen, damit jeder seinen Platz findet und glücklich werden kann. Dies nach Kräften zu unterstützen und anzustreben,
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