Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
siehst du nicht gerade aus.« Er kramte in seiner Tasche und brachte ein großes weißes Tuch zum Vorschein, das er ihr reichte. Anna schnäuzte kräftig hinein.
»Hast du mit ihm schon darüber gesprochen? Wie du dir dein Leben vorstellst?«, fragte er.
Anna schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob er mich da verstehen kann.«
Zum allerersten Mal nahm er Anna in seine Arme und drückte sie tröstend an seine breite Brust. »Soll ich mit ihm reden?«, fragte er.
Anna löste sich wieder von ihm und schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Er muss sich im Moment über so viele andere Dinge den Kopf zerbrechen.«
Bruder Thomas deutete auf einen Baumstamm, der am Bachufer lag. »Komm, setzen wir uns. Du kannst mir ruhig dein Herz ausschütten. Hier hört uns niemand.«
Sie setzten sich nebeneinander, und Bruder Thomas bückte sich nach ein paar Kieselsteinen, die er gedankenverloren in den Bach warf. Anna zerknüllte das Tuch von Bruder Thomas und suchte nach Worten. »Die Fahrt durch die Grafschaft war für mich zum ersten Mal die Gelegenheit, Chassim richtig kennenzulernen. In seiner Umgebung, mit seinen Untertanen, nicht nur auf dem Krankenbett im Haus des Medicus in Oppenheim. Er war sehr offen zu mir, hat mir sein Herz zu Füßen gelegt, nichts verborgen. Ich habe verstanden, was ihm wirklich wichtig ist, was ihm seine Grafschaft bedeutet, die Leute und Bauern auf seinem Land, um die er sich kümmert. Das ist seine Lebensaufgabe, und das nimmt er sehr ernst. Er sieht sich als der Erbe, der in der Nachfolge seines Vaters verantwortlich ist für das Lehen, das seiner Familie vom Kaiser anvertraut worden ist. In diesem Sinn will er es nach bestem Wissen und Gewissen verwalten und für seine Nachkommen erhalten.«
»Das ist doch aller Ehren wert, wenn er so denkt.«
»Ganz bestimmt. Aber ich fürchte, er sieht in mir die Frau an seiner Seite, die das alles annimmt und genauso denkt und fühlt wie er.«
»Und das willst du nicht sein?«
»Ich glaube, das kann ich nicht. Jedenfalls nicht so, wie er es sich wünscht. Ich muss meiner Bestimmung folgen, ich kann sie nicht einfach so aufgeben. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir das. Unter diesen Umständen kann ich doch nicht heiraten. Dann wäre unsere Ehe ja auf einer Lüge aufgebaut. Aber das kann ich ihm nicht einfach so ins Gesicht sagen. Das kann ich nicht!«
Sie musste wieder heftig in das Tuch schnäuzen.
Bruder Thomas schnipste weiterhin geistesabwesend Kieselsteine in den fröhlich glucksenden Bach.
»Ich fürchte aber, du musst es tun. Du musst ihm und dir gegenüber ehrlich sein«, gab er ruhig zu bedenken.
»Ich habe Angst davor. Angst davor, seine Liebe zu verlieren, wenn ich ihm sage, was mich bedrückt.«
Bruder Thomas stand auf, warf die restlichen Steine ins Wasser und putzte seine Hände an seiner Kutte ab. »Es ist deine Entscheidung. Aber ich will dir sagen, was ich denke. Wenn Chassim dich wirklich liebt, dann nimmt er dich so an, wie du bist. Aber vielleicht glaubt er ja auch, dass du dich mit deiner Rolle als Gräfin anfreunden kannst. Du musst ihm eben beweisen, dass du dich um die Kranken kümmern und gleichzeitig deinen Untertanen ein gutes Vorbild sein kannst.«
»Siehst du – du kommst genau zur gleichen Schlussfolgerung wie ich.«
Er sah in ihren Augen wieder die alte Verwegenheit aufblitzen, die schon immer in ihr steckte, wenn sie etwas ausgeheckt hatte, was gegen alle Regeln verstieß.
»Dazu müssten wir aber erst mal was Entsprechendes auf die Beine stellen«, bemerkte er zögernd.
»Du sagst es. Und da kommst du ins Spiel.«
»Wie meinst du das?«, fragte er verunsichert.
»Du bist ein Mann. Du kannst so einiges, was mir als Frau verwehrt ist. Egal, ob ich ein Bauernmädchen oder eine Gräfin bin.«
»Heute scheint ein Tag zu sein, an dem du mir nur Rätsel aufgibst.«
Sie hakte sich bei ihm unter.
»Wenn es an der Zeit ist, wirst du schon erfahren, was ich meine. Aber jetzt habe ich eine Aufgabe für dich. Erinnerst du dich an das Notizbuch, das ich im Haus des Medicus versteckt und vor den Schergen des Erzbischofs gerettet habe?«
»Aber natürlich. Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt, um es zurückzuholen.«
»Ich habe es immer bei mir. Es ist das Vermächtnis meines Lehrmeisters. Es enthält Rezepturen und Mischverhältnisse, die mir der Medicus vor seiner Abreise noch in die Feder diktiert hat. Und Namen und Wohnorte von Händlern, von denen er seine Grundstoffe für Arzneien
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