Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
ihm grüßen, er denkt oft an Euch, und seine Frauen vermissen Euch wie er selbst auch. Ihr wart wie eine Tochter für ihn.«
»Das hat er geschrieben?«, fragte Anna, der es bei diesen Worten seltsam wehmütig ums Herz geworden war. Auch der Medicus war für sie nicht nur Lehrmeister, sondern wie ein schmerzlich vermisster Vater zu ihr gewesen. »Woher wusste er, dass ich Euch aufsuchen würde?«
»Weil er annahm, dass Ihr früher oder später Nachschub von mir braucht.«
Anna nickte. »Kann ich Euch einen Brief für ihn geben?«
»Aber natürlich. Er wird sich bestimmt darüber freuen, von Euch zu hören. Wisst Ihr, er schätzt Euch und Eure Fähigkeiten sehr. Er hat mich auf dem Weg nach Hispanien aufgesucht und mir alles über Euch erzählt. Und mich gebeten, Euch zu unterstützen, so gut ich kann, wenn Ihr Hilfe braucht. Das musste ich ihm versprechen.«
»Das ist mein Medicus!«, sagte Anna mehr zu sich selbst als zu den beiden anderen. Dann wandte sie sich an Bruder Thomas. »Du hättest ihn kennenlernen sollen. Ich habe alles von ihm gelernt. Er hätte mir noch so viel beibringen können …«
Eine Pause entstand, die Jakob schließlich unterbrach, indem er sich räusperte. »Nun gut, was braucht Ihr? Dann wollen wir mal sehen, was ich für Euch tun kann«, sagte er, stand auf und sah Anna noch einmal in seiner Eigenschaft als Medicus in die Augen. »Wirklich, eine überaus interessante Anomalie!«, stellte er kopfschüttelnd fest, bevor er Tintenfass und Federkiel unter diversen Utensilien hervorkramte und in einer Schublade zwischen allerlei Krimskrams schließlich ein Palimpsest fand, auf dem er die Bestellungen notieren konnte. Bruder Thomas und Anna beteten alles aus dem Gedächtnis herunter, was sie brauchten. Sie hatten so oft darüber nachgedacht und geredet, dass Jakob ihnen immer wieder Einhalt gebieten musste, weil er mit dem Schreiben gar nicht so schnell nachkam. Bei den meisten Begriffen nickte er nur, bei manchen runzelte er die Stirn, bei anderen schüttelte er den Kopf, aber er tauchte seine Feder unentwegt in das Tintenfass und kritzelte, was das Zeug hielt. Als Anna und Bruder Thomas nichts mehr einfiel, fügte er selbst noch den einen oder anderen Posten hinzu, erklärte Notwendigkeit und Anwendung und erinnerte Anna dabei, nicht in Aussehen und Stimme, aber in seiner Gründlichkeit und Akribie, kurzzeitig an ihren alten, unvergessenen Lehrmeister Aaron aus Oppenheim – Aaron Oppenheimer, wie er sich laut Aussage von Jakob Ben Ascher im fernen Toledo nun nach seiner Herkunft nannte. Oppenheim war seine Heimat gewesen, und obwohl man ihn von dort verstoßen hatte, konnte er sie offenbar nicht ganz vergessen. Zwischendurch wurde Jakob von seinem jungen Famulus zu den Kranken und Hilfesuchenden im Hospital gerufen, und so lange ließ er Bruder Thomas und Anna allein. In der Zeit bewunderten sie im Schein der Kerzen seine große Ansammlung an Arzneien, Kräutern und exotischen getrockneten Heilpflanzen, die im Nebenraum in Gefäßen verschiedenster Art in deckenhohen Regalen und Schränken aufbewahrt wurden. Sogar auf dem Boden standen wacklige Stöße von alten Büchern aller Größen und Themenbereiche in den unterschiedlichsten Sprachen. Anna wunderte sich, wie Jakob in dem unglaublichen Wirrwarr die Übersicht behalten konnte, irgendwie musste er aber ein nicht nachvollziehbares Ordnungsprinzip haben, das nur in seinem Kopf existierte, denn sonst würde er niemals etwas finden, wenn er es dringend suchte. Dabei benötigte Jakob dies auch alles selbst für seine Heilkünste im Hospital, das er zusammen mit einigen Helfern führte.
Sein Lager, wo er die Lieferung für Anna und Bruder Thomas zusammenstellen wollte, war im Hinterhof in einem Nebengebäude untergebracht, erzählte er ihnen, als er von seinen Pflichten zurückkam. Das versetzte sie noch mehr in Staunen, dachten sie doch, sie hätten seine ganzen Vorräte schon in Augenschein genommen. Jakob schlug vor, dass sie am nächsten Tag mit ihrem Wagen noch einmal kommen sollten. Bis dahin würde ein Helfer alles zusammenstellen, und er, Jakob, würde sie, falls sie daran interessiert waren, herumführen und ihnen alles zeigen. Das Hospital, seine Apparaturen und Instrumente, und seine Bücher, auf die er besonders stolz war und die normalerweise niemand zu Gesicht bekam. Er war richtiggehend aufgeblüht und gab auch unverhohlen zu, warum das so war. Er konnte sonst mit niemandem fachsimpeln. Die einzige Ausnahme war sein
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