Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
Freund und Kollege Aaron gewesen, der ihn einmal im Jahr aufgesucht hatte. Jakob bedauerte zutiefst, dass er nun nicht mehr die Gelegenheit hatte, sich mit seinesgleichen auf Augenhöhe zu streiten, sich an einer fachlichen Meinung zu reiben und damit auseinanderzusetzen. Vor allem, weil der andere konträre Ansichten vertrat, die er aus eigenen Erfahrungen und Forschungen gewonnen hatte.
Bevor Anna und Bruder Thomas gingen, verriet er ihnen, dass er ihnen nicht weitergeholfen hätte, wenn Aaron ihm nicht von Anna erzählt hätte. So kannte er ihre Einstellung gegenüber der herkömmlichen, von der Kirche geprägten und dominierten Lehrmeinung und wusste, welche Haltung sie im Bereich der Heilkunde und der körperlichen Abläufe und Funktionen vertrat. Und, fügte er hinzu, wie sie sich für diese radikal neue, als ketzerisch verfemte Behandlungsmethodik eingesetzt hatte – mit ihrem Leben! Das nötigte ihm höchsten Respekt ab. Er hatte sich von einem Augenzeugen aus Oppenheim genauestens berichten lassen, wie der Erzbischof gegen Anna und ihre Heilmethoden vorgegangen war. Das hatte er haarklein alles an Aaron in Toledo brieflich berichtet, weil dieser ihn gebeten hatte, ihn auf dem Laufenden zu halten, was Anna, die Medica, anging. Anna versprach, bis zum nächsten Tag einen Brief für Aaron niederzuschreiben, und Jakob versprach, ihn so bald wie möglich von einem ihm bekannten Händler zustellen zu lassen. Dann verabschiedeten sich Anna und Bruder Thomas, und Jakob eilte wieder ins Hospital.
Als sie ganz benommen von dem, was sie bei Jakob alles gesehen und erfahren hatten, im Freien standen, merkten Anna und Bruder Thomas erst, wie viel Zeit vergangen war. Bruder Thomas äußerte einen Herzenswunsch. Er wusste, dass im alten Dom jeden Tag mehrere heilige Messen gelesen wurden, und wollte wieder einmal am Sakrament des Herrn teilnehmen. Es war ihm ein seelisches Bedürfnis, und Anna wollte ihm diesen Wunsch nicht abschlagen. Sie hatten alles erledigt, ja viel mehr als das, und die Wahrscheinlichkeit, ihrem Todfeind, dem Erzbischof, zu begegnen, war wohl gering. Es hieß, er hielt sich seit geraumer Zeit im Kloster Heisterbach auf, um innere Einkehr zu halten. Außerdem würde man sie, da sie ihre Kapuze wieder weit über den Kopf gezogen hatte, bestimmt nicht erkennen. Frohgemut verließen sie das Judenviertel und begaben sich zum alten Dom.
V
J eronimus hatte den halben Tag damit verbracht, die Händler seines Vertrauens aufzusuchen, Schwätzchen zu halten und die vom Grafen bestellte Ware zu ordern. Sie würde am nächsten Tag in die Schenke geliefert werden, wo das Fuhrwerk untergestellt war. Nun hatte er Zeit, den zweiten Teil seiner Pflichtrunde zu absolvieren. Er steuerte auf den bischöflichen Palast zu, der nahe am Dom gelegen war, und überlegte sich, wie er am besten vorgehen sollte, um nicht gleich sein ganzes Wissen preiszugeben und so viel wie möglich an Entlohnung für seine Spitzeldienste einzustreichen. Ein schlechtes Gewissen hatte er nicht dabei, obwohl er immer wieder an den heiligen Eid denken musste, den er Bruder Thomas geschworen hatte. Die Angst vor dem drohenden Fegefeuer flackerte doch auf, ob er nun wollte oder nicht. Das Leben war kurz, und den Rest der Ewigkeit mit Höllenqualen im Purgatorium zu verbringen, wollte er nicht unbedingt riskieren. Aber wenn er genauer darüber nachdachte, hatte er eigentlich nur versprochen, falls ihn jemand nach den zwei Mönchen fragte, den wahren Zweck ihrer Reise und ihre Herkunft nicht auszuplaudern. Wenn er es geschickt anstellte, konnte er seinen Schwur umgehen und somit nicht dagegen verstoßen. Nachdem er sich diese Strategie zurechtgelegt hatte, atmete er innerlich auf. Außerdem nahm er sich vor, einen kleinen Teil des Erlöses, den er sich für seine Auskünfte erhoffte, einem Geistlichen dafür zu spenden, dass dieser ein paar Messen für ihn las. Das konnte auf keinen Fall schaden, schließlich wollte er nach getaner Arbeit in seinem Lieblingsbadehaus noch ein wenig sündigen, da war ein gewisser Ablass sowieso vonnöten. So mit sich selbst im Reinen, fand er, dass beide Parteien, einerseits er als kleiner Sünder und andererseits die heilige Mutter Kirche, ein gutes Geschäft machen würden. Beschwingt von den Aussichten, summte er beim Gehen vor sich hin und musste dabei an diese blonde Hübschlerin mit dem kleinen Leberfleck an einer ganz bestimmten Stelle denken, die es ihm letztes Jahr angetan hatte. Sie war beileibe kein Kind
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