Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
von Traurigkeit und dazu hübsch und anschmiegsam und hatte noch alle Zähne. Und wie gut sie gerochen hatte! Hoffentlich arbeitete sie nach wie vor im selben Haus und war frei für ihn. Ganz in seinen verführerischen Gedanken schwelgend, bemerkte er gerade eben, dass er schon an der Dienstbotenpforte des bischöflichen Palastes vorbeigegangen war, und kehrte um. Er klopfte mit dem eingelassenen Eisenring an die schwere Eichentür, und fast unmittelbar wurde ihm von einem Hausdiener aufgetan, der ihn mit einem unfreundlichen »Ja?« anblökte.
Jeronimus riss sich eilfertig seine Mütze vom Kopf. »Verzeiht, Herr, ich muss Pater Severin sprechen. Es ist dringend.«
»Wer bist du und in welcher Angelegenheit willst du den Erzbischof sprechen?«, kam es zurück.
»Er kennt mich, ich bin Jeronimus, der Knochenhauer von Burg Greifenklau. Es geht um Anna von Hochstaden«, antwortete Jeronimus so devot wie möglich. In den Häusern von hohen Herrschaften war Unterwürfigkeit angebracht, wenn man Gehör finden wollte, das hatte ihn sein Leben als Bediensteter bisher gelehrt.
»Anna von Hochstaden?«, fragte der Hausdiener misstrauisch. »Habe ich richtig gehört?«
»Jawohl. Die Medica.«
Der Hausdiener, ein Mann mit Hakennase und schütterem Haar, brauchte einen Moment, um die Bedeutung der Mitteilung richtig einzuordnen, dann befahl er barsch: »Komm rein, und warte hier. Aber rühr ja nichts an!«
Jeronimus trat zögernd in den Gang und verschloss die Tür hinter sich. Der Hausknecht warf ihm noch einen strengen Blick zu, dann ging er davon und verschwand um die Ecke.
Jeronimus sah sich neugierig um. Er war zwar schon des Öfteren hier gewesen, aber der zur Schau gestellte Reichtum des Bistums und seines Herrn, des Erzbischofs, erstaunte ihn doch jedes Mal von neuem. Mannshohe mehrarmige Metallleuchter mit Dutzenden von Kerzen, die nach Bienenwachs rochen, erhellten den fensterlosen Gang, auf dem Granitboden war frisches Stroh ausgelegt, detailreiche Wandbehänge mit biblischen Motiven bedeckten alle paar Fuß die Wände, in den Zwischenräumen standen schwere Truhen mit gewaltigen Schlössern. Jeronimus näherte sich einem Wandbehang und versuchte, das Dargestellte einzuordnen, es war wohl der heilige Georg auf schneeweißem Ross im Kampf mit einem Drachen, den der Speer des Ritters mitten in den Rachen traf, so dass Blut daraus hervorquoll. Er strich mit der Hand über das Gewirk und ertastete die Struktur. Vielleicht hatte das mit seinem Handwerk zu tun, aber er musste immer alles mit den Fingern erfassen, das Auge allein genügte ihm nicht.
Dann fiel sein Blick auf ein Silbertablett mit kostbaren, goldglänzenden Kelchen, das auf einer Truhe stand. Er war gerade in Versuchung, einen Becher näher in Augenschein zu nehmen, und streckte schon den Arm danach aus, als ihn eine Stimme zusammenfahren ließ. »Du da – komm mit!«, bellte der gestrenge Hausdiener, der zurückgekehrt war, ohne dass ihn der Knochenhauer gehört hatte. Jeronimus wandte sich ab und beeilte sich, dem Befehl Folge zu leisten, was gar nicht so einfach war, denn der Mann hatte sich schon umgedreht und eilte voraus durch etliche Gänge und über einige Treppen, und zwar in einem Tempo, dass Jeronimus Mühe hatte, ihm auf den Fersen zu bleiben. Schließlich wartete er an einer Doppeltür. Jeronimus kam näher und blieb erwartungsvoll stehen.
Der Hausdiener sah ihm direkt in die Augen. »Hör mir gut zu! Wenn du jetzt das Empfangszimmer betrittst, verneigst du dich. Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst. Die Anrede – und diese verwendest du gefälligst! – lautet: Euer Eminenz. Pater Severin sprichst du mit ›Euer Gnaden‹ an. Hast du mich verstanden?«
Jeronimus schoss das Blut in den Kopf, so dass ihm ganz wirr wurde. Seine Eminenz – das konnte nur der Erzbischof sein. Und der wollte ihn persönlich empfangen? Bei allen Heiligen – was hatte das zu bedeuten? Er kam nicht weiter dazu, darüber nachzudenken, denn der Hausdiener klopfte bereits, öffnete die Tür und ließ ihn eintreten.
»Jeronimus von Burg Greifenklau«, meldete er ihn an.
Dann ging die Tür hinter Jeronimus zu, und er stand in einem großen, dunklen Raum, wo Pater Severins gedrungene Gestalt auf ihn wartete. Vor dem Kamin, in dem ein Feuer flackerte, stand eine zweite Person und kehrte ihm den Rücken zu. Das musste der Erzbischof sein.
Vorschriftsmäßig verneigte sich Jeronimus und blieb in der gekrümmten Haltung, bis ihn Pater Severin ansprach.
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