Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
mir jetzt zu anstrengend. Mir wäre es jetzt nach ein wenig Zerstreuung. Bruder Thomas – sagt mir, spielt Ihr Schachzabel?«
Bruder Thomas nickte versonnen. »Ich habe es in meinem Kloster in Weingarten gelernt. Aber der dortige Abt hat es nicht so gern gesehen, wenn sich die Brüder daran ergötzt haben. Zeitweilig waren sie so darin vertieft, dass sie die Gebetszeiten darüber versäumt haben.«
»Ihr auch?«
Bruder Thomas ersparte sich eine Antwort und zuckte nur vielsagend mit den Schultern.
»Also könnt Ihr es?«, insistierte der junge König.
In den Augen von Bruder Thomas war der Schalk zu ahnen. »Ich habe den Abt mehrmals darin geschlagen. Bis er gesagt hat, dass Luzifer das Spiel erfunden haben muss. Fortan war es im Kloster verboten.«
»Großartig! Ich mag ebenbürtige Gegner. Wenn ich mit Höflingen spiele, lassen sie mich immer gewinnen. Das macht keinen Spaß.«
»An mir werdet Ihr Euch die Zähne ausbeißen, Majestät!«
»Das werden wir sehen!« Sein jugendlicher Kampfgeist war erwacht. Über nichts freute sich Bruder Thomas mehr in diesem Augenblick.
»Werft doch einen Blick in diese Truhe dahinten«, sagte der König und zeigte in die hinterste Ecke des Gemachs. »Darin müsste ein Spiel sein.«
Bruder Thomas fand das Spielbrett, das sehr edel aussah, es war glänzend schwarz, wohl aus Ebenholz, am Rand mit feinen Intarsien verziert, die weißen Felder schienen aus Elfenbein zu sein. Im dazugehörigen Ebenholzkästchen mit einem Schiebedeckel lagen die filigran geschnitzten Spielfiguren, die ebenfalls aus Elfenbein waren, jede einzeln in ein schwarzes Samttuch eingewickelt. Bruder Thomas nahm die Spielfigur des Königs heraus und bestaunte das Können des Handwerkers, der sie gefertigt hatte. Er war selbst nicht ungeschickt im Umgang mit Holz und Schnitzmesser, und seine liebevoll gestalteten Tierfiguren hatten schon so manche Angst und Schmerzen bei Kindern, die er und die Medica behandeln mussten, in Staunen und Freude umgewandelt und sie abgelenkt. Er erkannte es, wenn er ein Meisterwerk der Schnitzkunst vor sich hatte, und diese Figuren waren wahrlich eines Königs würdig.
Aber als er sich damit dem Bett zuwandte, sah er, dass der junge König den Kopf weggedreht und die Augen geschlossen hatte. Er war eingenickt, wahrscheinlich hatte ihn das lange Gespräch vollkommen überanstrengt.
Bruder Thomas nahm es als gutes Zeichen, deckte ihn fürsorglich zu und freute sich schon insgeheim auf die erste Partie Schachzabel nach zehn Jahren. Er drehte die Spielfigur des weißen Königs im Licht, das durch das Fenster hereinfiel.
Er hatte früher schon gegen einige höherstehende Herrschaften gespielt. Aber noch nie gegen einen richtigen König.
III
A ls Anna die Schritte im Schnee hörte, nachdem sie sich mit ihrem Pferd im Wald versteckt hatte, rechnete sie mit dem Schlimmsten. Wer, wenn nicht jemand, der böse Absichten hatte, würde sich sonst hinterrücks an sie heranschleichen? Ihre Hand fuhr instinktiv in den Schlitz an ihrer Kutte, wo sie den scharfen, spitzen Dolch versteckt hatte. In einer gleitenden Bewegung zog sie ihn aus seinem Futteral, das sie immer um ihren Oberschenkel geschnallt hatte, und wirbelte herum.
Keine fünf Schritte entfernt stand er da, das Schwert gezückt, und sah sie mit einer Mischung aus Vorwurf, Überraschung und überschwänglicher Freude an: Chassim.
Obschon genauso dick vermummt gegen die Kälte wie sie, erkannten sie einander sofort. Alle Anspannung fiel in diesem Augenblick von Anna ab, machte einer grenzenlosen Erleichterung Platz, und sie flog in Chassims Arme. Der ließ sein Schwert fallen und drückte sie so fest, dass ihr die Luft wegblieb.
»Was machst du hier?!«, fragten sie beide gleichzeitig und mussten darüber so lachen, dass sie das Gleichgewicht verloren und in den Schnee fielen, was ihnen aber gleichgültig war, weil sie sich so heftig küssten, dass sie darüber beinahe vergaßen, wo sie waren.
Endlich lösten sie sich voneinander. Anna wischte Chassim den Schnee aus den Haaren und liebkoste sein Gesicht, als wolle sie sichergehen, dass er sich nicht vor ihren Augen auflöste und nur eine Vorspiegelung ihrer Sehnsüchte war. Sie halfen sich gegenseitig hoch und klopften sich den Schnee aus den Kleidern. Plötzlich knackten Zweige, und Pferdeschnauben war zu hören. »Das sind nur meine Männer«, beruhigte Chassim Anna. »Ich bin ihnen voraus und durch den Wald geritten, weil ich einen Fremden in einer Kutte gesehen hatte,
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