Die Rache Der Nibelungen
setzte Sigurd seinen Heimweg fort. Er ließ sich nicht gerne von Eolind herumkommandieren. Andererseits war es unmöglich, sich ihm zu widersetzen.
»Bedeute ich dir nichts?«
Eolind spuckte auf den Weg. »Als Mensch? Nichts. Als Prinz? Alles.«
Sigurd verstand den alten Mann nicht. »Dann würdest du auch jedem anderen Prinzen dienen? Das enttäuscht mich.«
Eolind schien das nicht weiter zu stören. »Weil Ihr keine Pflichten kennt. Wie kann ich mich abhängig machen von meiner persönlichen Neigung? Soll ich einem König die Gefolgschaft verweigern, weil seines Sohnes Dummheit mich in Rage bringt? Nein. Man bringt mir die Prinzen und Prinzessinnen – und ich kümmere mich um sie.«
Sigurd trat mit Wucht auf einen Ast, der unter seinem Fuß zerbrach. »Ich hatte nur gehofft, du würdest ... ich meine, über die Jahre ...«
Eolind seufzte vernehmlich. Die Gespräche mit Sigurd kannte er schon. Der Junge war stark wie ein Dryk, aber empfindsam wie ein Weib. Seine Mutter hatte ihn mit zu viel Büchern gefüttert statt mit Ochsenblut. »Ihr sucht Verständnis, wo keines nottut. Wenn Ihr Freundschaft und Pflicht nicht unterscheiden könnt – was schert Euch dann, ob es dann das eine oder das andere ist?«
Sigurd wusste, dass er damit alle Antwort hatte, die Eo-lind zu geben bereit war. »Du wirst mich vermissen, wenn ich erst mal in Dänemark bin.«
»Werde ich Eure Abreise mehr bereuen als die Dänen Eure Ankunft?«
Sigurds Laune besserte sich augenblicklich, denn auf seine erste große Reise über das Meer freute er sich seit dem Beginn des Jahres. »Ich habe gehört, dass die Dänen andere Spiele spielen als wir. Sie haben Instrumente, die Töne machen, von denen du noch nie gehört hast! Und ihr Met ist mit Gewürzen verrührt und brennt auf der Zunge!«
Eolind lachte. »Danach sehnt Ihr Euch? Nach einer verbrannten Zunge? Ich glaube, Ihr werdet Euch bei König Dagfinn sehr wohl fühlen.«
Sigurd schwieg eine Sekunde zu lang, und Eolind ertappte den falschen Gedanken sofort. »Ihr
werdet
Euch bei König Dagfinn wohl fühlen, Sigurd. Das ist keine Bitte – und ich möchte nicht mit Eurem Vater darüber sprechen müssen.«
Sigurd nahm ein paar Kieselsteine auf und warf sie in den Wald rechts und links des Weges. Es wurde langsam dunkel, und der Boden presste die Kälte aus der Erde.
»Was soll ich denn bei Hofe?«, maulte Sigurd nun. »Eine Burg ist der anderen gleich. Das sagt jeder! Und du kennst Dagfinn! Er wird mich bei Empfängen herumreichen wie ein edles Pferd, das man zur Schau stellt!«
»Ihr seid Prinz von Island und Gast an seinem Hof. Es wird Euch an nichts fehlen.«
»Aber das ist es ja! Eolind, ich will des Morgens keinen Diener neben der Schlafstatt, der meine Füße wäscht! Ich will etwas erleben! Ich möchte unter Leute, die nicht meines Standes sind!«
»Ihr wollt Huren sehen, und Krieger, die sich im Suff die Krüge über die Schädel ziehen, bis sie im eigenen Blut liegen. Wo die Hand schnell am Schwert ist und die Nacht keinen Schlaf verlangt.«
Sigurd fühlte sich ertappt. »Woher ... woher weißt du das?«
Eolind lachte wieder. »Ihr wollt, was jeder Junge will, der schon den Mann in sich spürt. Man nennt es Freiheit. Und in Eurem Fall die Freiheit, Dummheiten zu begehen.«
»Glaubst du, Vater wird es erlauben?«
Eolind schüttelte den Kopf. »Niemals. Nicht nur aus Sorge um Euch – Eure Mutter würde ihn eigenhändig meucheln, wenn Euch etwas zustöße.«
»Mutter macht sich immer zu viel Sorgen.«
»So wie es ihre Aufgabe ist.«
Sie hatten nun den Rand des Plateaus erreicht, und die karge Steppenlandschaft fiel langsam zur südlichen Küste Islands hin ab. Als hätte einer der Titanen in das Land gebissen, kam der Fjord in Sicht, der auf der einen Seite Hafen und an der Felswand im Rücken Heimstatt der Könige war. Wenn man genau hinsah, konnte man ein paar wenige Lichtpunkte hinter den Burgmauern ausmachen.
Ein, vielleicht zwei Stunden strammer Fußweg standen noch bevor.
Noch einmal versuchte Sigurd, das Thema anzusprechen. »Wenn ich an den Hof von Dagfinn muss, kann ich gleich hier bleiben.«
»Dann bleibt hier.«
»Aber ich will ...«
»Etwas erleben«, stöhnte Eolind genervt auf. »Das hatten wir doch bereits geklärt.«
Er legte dem Prinzen den Arm auf die Schulter, als müsse er sich stützen lassen. Aber Sigurd spürte die Vertrautheit in der Berührung.
»Mein Prinz, mit Eurem Blut braucht Ihr dem Abenteuer nicht lange hinterherzuschmachten. Es
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