Die Rache Der Nibelungen
Prinzessin wurde aus der seltsamen Trance herausgerissen und blinzelte zweimal, bevor sie sich gefangen hatte. »Entschuldige, Vater.«
Wulfgar sah sie misstrauisch an. »Du führst doch was im Schilde.«
Dann trank er noch einmal.
Sigurd stellte den Steinkrug auf den Tisch, den er zum dritten Mal geleert hatte. Der Wirt goss sogleich nach, ohne seinen Redefluss zu unterbrechen. »So dachten wir, wenn König Gunther zurückkommt von der Hochzeit seiner Schwester mit Etzel, dann wird wieder Frieden herrschen und Ruhe einkehren. Na ja, hat nicht sollen sein. Mehr als ein Jahr lief es so schlecht und recht, bis Rom einen Verwalter sandte, der den verwaisten Hof übernahm.«
Es hatte sich gelohnt, den Wirt zum Tratsch zu veranlassen. Sigurd hatte an diesem Abend viel erfahren, was sich vor vielen Jahren bei Hofe zugetragen hatte. Die Menschen hatten seinen Vater wirklich verehrt, viel mehr noch als den König Gunther selbst. Durch die Bezwingung des Drachen war er Volksheld und Legende geworden, dem Tag seines Todes wurde immer noch mit einem speziellen Starkbier gedacht, dem »Siegfried-Bräu«.
»Aber schlecht ergangen scheint es Euch unter den Römern nicht«, merkte Nazreh vorsichtig an, weil er die Wut des Wirts spürte.
»Kein Römer Blut kann ein Burgunder Herz gewinnen«, erklärte der Hausherr. »Prinz Gernot hatte das Recht auf den Thron – doch mutlos hat er sich nach Island verzogen. Wen wundert's? Ein weicher Feigling ist er alle Tage gewesen, der das Schwert verabscheute.«
Die Anschuldigung machte Sigurd wütend, und in trunkenem Kopf wollte er den Wirt dafür angehen, doch wieder einmal hielt Nazreh ihn zurück. »Wenn ich mich recht erinnere, gab es keinen Krieg mehr mit Burgunder Toten, seit Gernot gen Norden zog. Vielleicht hat er jene Weitsicht bewiesen, die seinen Vorfahren abging.«
»Bah!«, schnaufte der Wirt. »Der Tod reiste ihm nur langsam nach, und statt in Burgund hat er ihn in Island gefunden. Schade ist's nur um Elsa – des edlen Hagens Tochter hätte Besseres verdient und sollte in Burgund begraben liegen.«
»Wie könnt Ihr Hagen edel nennen?«, brauste Sigurd auf. »Verrat und Meuchelmord waren seine Gefährten auf dem Weg in den Untergang! Nicht weniger als Euren Helden Siegfried hat er auf dem Gewissen!«
Der Wirt war über die heftige Reaktion erstaunt, aber er ließ sich nicht beirren. »Der Hagen, und das sage ich Euch als jemand, der ihn noch erlebte – der Hagen war ein Mann von Ehre. Was er tat, tat er für Burgund und das Königshaus. Stolz sei der, der das von sich sagen kann!«
Es pochte in Sigurds Schläfen, als er versuchte, die Ungeheuerlichkeit zu verstehen. Hier saß ein grundehrlicher Mann und pries den feigen Mörder seines Vaters! Wie konnte das sein? Legte die Erinnerung einen solch goldenen Glanz über das Leben des einäugigen Falken des Hofes Burgund? War die finstre Tat gar nicht so räudig, wenn man nur den Blickwinkel wechselte? War das Motiv nicht Niedertracht, sondern schlichte Politik gewesen?
Es fiel Sigurd auf, dass die Männer an den umliegenden Tischen bei den letzten Sätzen zustimmend genickt und ge-grummelt hatten. Die Meinung des Wirts schien in Worms nicht ungewöhnlich.
Der Hausherr erhob sich, um wieder seinen Pflichten nachzugehen. Flüsternd wandte sich Sigurd an seinen Freund. »Sie preisen Hagen – und wissen doch, dass er ihren Volkshelden Siegfried meuchelte? Und den braven König von Island ächten sie, weil er dem Blutbad ein Ende bereiten wollte?«
Nazreh hob die Schultern. »Jedes Land hat seine eigenen Legenden. Was für die einen feiger Verrat, mag für die anderen edles Handeln sein. Ich bin sicher, dass auch in Xanten Wulfgar für die Unterwerfung Islands gepriesen wird, von guten und ehrlichen Menschen.«
Sigurd spuckte auf den Boden und schob den Krug von sich weg. »Dieses Land ist es nicht wert, gerettet zu werden.«
»Gehe nicht zu hart mit ihnen ins Gericht, Siegfried«, mahnte Nazreh. »Ihre Erinnerungen sind nicht deine, und ihre Schlussfolgerungen demnach ebenso wenig.«
Als die Gäste hörten, dass der Araber seinen Freund beim Namen des Volkshelden nannte, prosteten sie Sigurd begeistert zu, was es ihm noch schwerer machte, die Burgunder für ihre tumbe Glorifizierung Hagens zu verachten. »Ich möchte nicht lange hier bleiben. Morgen ziehe ich los, um mir das Gold zu holen.«
Nazreh konnte nur ahnen, warum das Schicksal dieses kleinen Reiches dem Mann, den er als Siegfried kannte, so am Herzen lag.
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